Ende Juli 2009 gab der Internet-Händler Amazon.com die Akquisition von Zappos.com, eines Online-Shops für Schuhe und Kleider, bekannt. Das Volumen des Deals umfasste an dem Tag, als er abgeschlossen wurde, 1,2 Milliarden Dollar. Der damals 35-jährige Tony Hsieh, CEO des Unternehmens, verdiente allein mit diesem Deal mindestens 214 Millionen Dollar, wobei das Geld, das seine frühere Investment-Firma Venture Frogs damit verdiente, noch nicht mit eingerechnet ist. In seiner Autobiographie beschreibt der 1973 geborene Sohn taiwanesischer Einwanderer, wie er diesen Erfolg erzielen konnte.
Nach dem Ende seines Studiums fing Hsieh 1995 bei dem Software-Unternehmen Oracle an. Er wurde gut bezahlt, langweilte sich jedoch den ganzen Tag, weil er nichts wirklich Herausforderndes zu tun hatte. An einem Wochenende hatten er und ein Freund eine Idee, aus der kurz darauf ihre Firma LinkExchange werden sollte. „If you ran a Web site, then you could sign up for our service for free. Upon signing up, you would insert some special code into your Web pages, which could cause banner ads to start showing up on your Web automatically. Every time a visitor came to your Web site and saw one of the banner ads, you would earn half a credit.” Klickten also 1000 Personen die Website an, bekam man 500 credits. Mit diesen 500 credits wurde dann die eigene Website durch das LinkExhange Netzwerk 500 Mal kostenlos beworben. „The extra five hundred advertising impressions left over would be for us to keep. The idea was that we would grow the LinkExchange network over time and eventually have enough advertising inventory to hopefully sell to large corporations.”
Sie mailten diese Idee an 50 Websites und waren überrascht, dass die Hälfte davon innerhalb von 24 Stunden positiv reagierte. Rasch zeigte sich, dass sie mit der Idee eine Goldgrube entdeckt hatten. Schon wenige Monate nachdem sie LinkExchange gestartet hatten, rief ein Mann namens Lenny aus New York an und erklärte, dass er prüfen wolle, das Unternehmen vielleicht zu kaufen. Sie trafen sich mit Lenny, und zu ihrer Überraschung bot er für die erst wenige Monate alte Firma, die bis dahin noch gar keine Gewinne gemacht hatte, eine Million Dollar. Hsieh lehnte ab, aber das Angebot zeigte ihm, dass er auf dem richtigen Weg war. Im Dezember erhielt er wieder einen Anruf, diesmal von dem berühmten Yahoo!-Mitbegründer Jerry Yang. Yang hatte in diesem Jahr eine Milliarde Dollar beim Börsengang von Yahoo! eingesammelt und bot Hsieh nun an, sein Unternehmen für 20 Millionen Dollar zu kaufen. „The first thought that came to my mind was Wow. The second thought that came to my mind was I’m glad we didn’t sell the company to Lenny five months ago.” Die ganze Situation fühlte sich an, wie ein déjà vu, nur dass die gebotene Summe noch viel höher war – sehr viel höher. Hsieh lehnte jedoch wiederum ab.
Er bereitete einen Börsengang vor, doch dann kamen die russische Rubelkrise und der Zusammenbruch des Long Term Capital Fund dazwischen, – und aus den Börsenplänen wurde erstmal nichts. Da die Firma jedoch hohe Ausgaben und kaum Einnahmen hatte, brauchte sie dringend neues Geld. Sie fragten die Firmen Netscape und Microsoft, ob diese interessiert seien, zu investieren – und beide waren nicht nur bereit, zu investieren, sondern zeigten Interesse, die Firma komplett zu kaufen. Microsoft bot 265 Millionen Dollar – und Hsieh verkaufte die Firma.
Hsieh und seine Freunde entschlossen sich, einen Investment-Fonds zu gründen, der in andere vielversprechende Internet-Firmen investieren sollte. Er sammelte bei den ehemaligen Mitarbeitern von LinkExchange 27 Millionen Dollar für den Fonds ein. Einer derjenigen, der sich um eine Finanzierung durch den Fonds bewarb, war ein junger Mann namens Nick Swinmurn, der eine Website zum Verkauf von Schuhen gestartet hatte – shoesite.com.
Zunächst erschien Hsieh die Idee absurd – so wie den meisten Menschen. Wer würde schon Schuhe kaufen, ohne sie vorher anzuprobieren? Er fand aber schnell heraus, dass am Schuhmarkt in den Vereinigten Staaten jährlich 40 Milliarden Dollar umgesetzt wurden, und davon immerhin fünf Prozent durch den Versandhandel. Der Versandhandel war zudem das am schnellsten wachsende Segment im Schuhgeschäft.
Nick räumte allerdings ein, dass er selbst vom Schuhgeschäft nichts verstand, und deshalb machte Hsieh es zur ersten Bedingung für eine Investition, dass Nick jemand fände, der mehr davon verstünde. Nachdem Nick dies gelang, war die neue Geschäftsidee geboren. Das Internetportal, das nunmehr Zappos.com hieß, sollte Partnerschaften mit Hunderten Schuhmarken eingehen und die eingehenden Bestellungen direkt an die Firmen weiterleiten, die dann die Schuhe selbst ausliefern würden. Die ersten Gespräche mit Schuhfabrikanten waren jedoch nicht sehr ermutigend, die meisten zeigten sich reserviert. Der Fonds von Hsieh hatte nur noch wenig Geld für Investments zur Verfügung, weil er schon rasch in 27 vielversprechende Internetfirmen investiert hatte.
In den nächsten zwei Jahren kämpfte Zappos ums Überleben und stand immer wieder kurz vor dem Konkurs. Alle paar Monate schoss Hsieh Geld von seinem privaten Konto nach. Er war nach wie vor von der Idee von Zappos überzeugt, aber er war nicht sicher, ob es angesichts der hohen monatlichen Verluste gelingen würde, das Unternehmen lange genug am Leben zu erhalten. Es gab zusätzliche Entlassungen und die verbliebenen Mitarbeiter mussten Gehaltskürzungen hinnehmen. Aber es war auch klar, dass man mit Einsparungen alleine die Firma nicht zum Erfolg führen können würde.
Hsieh und seine Mitarbeiter grübelten darüber nach, was sie anders machen könnten als bisher, um die Firma zum Erfolg zu führen. Das Problem bei Zappos bestand vor allem darin, dass das Unternehmen mit vielen begehrten Schuhmarken nicht zusammenarbeiten konnte, weil diese nicht in der Lage waren, Schuhe direkt an Endverbraucher auszuliefern. Hsieh entschloss sich daraufhin, ein eigenes Inventar an Schuhen aufzubauen, wofür jedoch weitere Investitionen in Höhe von zwei Millionen Dollar benötigt wurden. Er war bereit, alles auf eine Karte zu setzen. „This was a ‚bet the company’ plan… Continuing with the drop-ship-only route that we had been on and dying a slow death didn’t sound like very much fun. It would just be delaying the inevitable.”
Da die meisten Schuhhersteller nicht an einen Online-Shop, sondern nur an “richtige”, traditionelle Schuhläden auslieferten, improvisierte man ein solches Schuhgeschäft in den eigenen Büroräumen und kaufte zusätzlich einen kleinen Schuhladen in einer Kleinstadt. Tatsächlich erhöhte sich der Umsatz, und zwar von 1,6 Millionen Dollar im Jahr 2000 auf 8,6 Millionen im Jahr 2001. Und dennoch verlor die Firma Monat für Monat Geld und stand mehrfach kurz vor dem Aus.
In dieser Situation entschloss sich Hsieh, sein gesamtes Vermögen zu verkaufen, um die Firma am Leben zu erhalten – einschließlich eines Party Lofts, das ihm besonders ans Herz gewachsen war. Allerdings wollte niemand die Immobilie zum Einstandspreis kaufen und schließlich sah er sich zu einem Notverkauf gezwungen, bei dem er nur 60 Prozent des Einstandspreises erzielen konnte.
Die Umsätze stiegen weiter, auf 32 Millionen im Jahr 2002. Man schien also auf dem richtigen Weg zu sein. Und in dieser Situation setzte Hsieh ein noch größeres, für die meisten Mitarbeiter schier unglaubliches Ziel: Bis spätestens 2010 sollte ein Umsatz von einer Milliarde Dollar erreicht werden. Dies war sicherlich eine richtige und wichtige Entscheidung, denn gerade in einer schwierigen Situation ist es umso wichtiger, sehr große Ziele vor Augen zu haben, die einen anspornen und die Kraft geben, durchzuhalten. Zu kleine Ziele geben dafür nicht genügend Kraft.
2008 kam der nächste Rückschlag. Die Finanzkrise brachte alle amerikanischen Unternehmen in Schwierigkeiten, und vorsichtshalber musste auch Zappos acht Prozent der Mitarbeiter entlassen. Doch das Unternehmen war mit seiner Strategie weiter erfolgreich, und im Juli 2009 wurde es von dem besonders durch seinen Bücherdienst bekannten Internet-Händler Amazon übernommen. Die Eigentümer von Zappos erhielten Amazon-Aktien im Wert von 1,2 Milliarden Dollar, und Zappos wurde eine 100-%ige Tochter von Amazon.