Soeben ist die erste Biographie über David Ogilvy erschienen, einer den beeindruckendsten Werbefachleute und Unternehmer des 20.Jahrhunderts. Wer die ausgezeichnete Biographie von Kenneth Roman über Ogilvy liest und noch nicht den Klassiker von Ogilvy „Geständnisse eines Werbemannes“ besitzt, sollte es sich kaufen und beide zusammen lesen. Ogilvys Buch ist – anders als seine weniger empfehlenswerte Autobiographie – ein Genuss zu lesen, und sie wurde nicht umsonst über eine Million Mal verkauft.
Als Ogilvy im Jahr 1948 seine Agentur gründete, gab er folgenden „Tagesbefehl“ heraus: „Agenturen sind so groß, wie sie es verdienen. Wir fangen klein an, aber wir werden diese Agentur noch vor 1960 zu einer großen gemacht haben.“ Am nächsten Tag schrieb er eine Liste mit „Wunschkunden“, die ambitionierter nicht hätte sein können. Auf dieser Liste standen die damals führenden Unternehmen General Foods, Bristol Myers, Campbell Soup, Lever Brothers und Shell. Ogilvy erklärte später: „Gerade solche Kunden sich vorzunehmen war damals der reine Wahnsinn. Später waren alle fünf Kunden von Ogilvy, Benson & Mather.“
Der Anfang für einer neue Agentur ist schwer, weil man keine Referenzen, keine Erfolgsgeschichten und keinen Ruf hat. Anfangs, so Ogilvy, nahm er natürlich jeden Etat, der ihm angeboten wurde – eine Spielzeug-Schildkröte, eine Patent-Haarbürste, ein englisches Motorrad. „Aber dabei ließ ich meine Liste der fünf Traumkunden nie aus dem Auge und investierte den ganzen mageren Gewinn, den wir machten, in den Aufbau einer Organisation, die dann schließlich in der Lage sein musste, die Aufmerksamkeit dieser Kunden auf sich zu lenken.“
Ogilvy wollte jedoch mehr, als bloß eine große Agentur aufzubauen, er hatte eine bestimmte Mission, wie gute Werbung auszusehen hatte. Gute Werbung, so betonte er immer wieder, musste vor allem eines: Verkaufen. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, aber Ogilvy musste immer stärker gegen ein anderes Konzept ankämpfen: So genannte „Kreative“ sahen Werbung vor allem als Unterhaltung. Ob die Werbung wirklich dazu führte, dass mehr von einem Produkt verkauft wurde, war ihnen nicht so wichtig. Sie suchten nicht vor allem die Anerkennung der Konsumenten für ein Produkt, sondern die Anerkennung ihrer Kollegen in der Werbebranche.
In zahlreichen Vorträgen las er seinen Kollegen aus der Werbebranche die Leviten und kämpfte gegen den immer stärker werden Strom der „kreativen“ Werbung. „Wenn Sie Ihr Werbebudget für die Unterhaltung Ihrer Kunden ausgeben, sind Sie ein großer Narr. Hausfrauen wechseln nicht ihr Waschmittel, bloß weil der Hersteller am Abend zuvor im Fernsehen einen Witz erzählt hat. Sie kaufen das Waschmittel, weil es ihnen einen Nutzen verspricht.“
Das vorrangige Ziel vieler Werbeschaffender, so Ogilvy, sei es, einen Preis für ihre Kreativität zu gewinnen. „Sie scheren sich keinen Deut darum, ob ihre Spots den Umsatz steigern, vorausgesetzt, sie sind unterhaltsam und werden mit einer Auszeichnung belohnt. Diese kreativen Unterhaltungskünstler haben der Werbebranche großen Schaden zugefügt.“
Schließlich verbat er seinen Mitarbeitern sogar, sich an Wettbewerben zu beteiligen, was in seiner Firma eine kleine Meuterei auslöste. Um ein Signal zu setzen, schrieb Ogilvy eine eigene Auszeichnung aus – für Ergebnisse. Der David-Ogilvy-Award wurde für diejenige Kampagne seines Unternehmens verliehen, die nachweislich entweder den Umsatz des Kunden oder dessen Image gestärkt hatte. Schließlich konnte er das Verbot, sich an Wettbewerben zu beteiligen, jedoch nicht aufrecht erhalten. Dennoch blieb er bei seiner Meinung, dass die meisten Kampagnen, die wirkliche Erfolge am Markt erzielten, nie einen Preis gewinnen würden, „ganz einfach deshalb, weil sie die Aufmerksamkeit nicht auf sich lenken“.
Der Leser einer Anzeige, so Ogilvys Mantra, solle nicht sagen: „Was für ein raffiniertes Inserat“, sondern er sollte vielmehr sagen: „Das habe ich noch nicht gewusst. Ich sollte dieses Produkt wirklich ausprobieren.“ Er wandte sich auch gegen die Meinung, Anzeigentexte müssten unbedingt kurz sein. Eine seiner erfolgreichsten Anzeigen, nämlich für Rolls Royce, hatte 719 Wörter Text – „aber alles Tatsachen“, wie er stolz hinzufügte. Die Überschrift lautete: „Bei 100 Stundenkilometern ist das lauteste Geräusch im neuen Rolls-Royce das Ticken der elektrischen Uhr.“ Bevor Ogilvy diese Anzeige entwarf, verbrachte er drei Wochen damit, sich von den Autobauern die Technik erklären zu lassen und las alles, was jemals über Rolls Royce geschrieben worden war. Ogilvy berichtet, dass aufgrund dieser Anzeige so viele Fahrzeuge verkauft worden seien, dass man es nicht wagte, sie nochmals zu schalten. „Die Fertigungskapazitäten unseres Kunden sind auf so einen Ansturm einfach nicht ausgelegt.“
Ogilvy zitierte einen Einzelhandelsexperten, der die Sache auf den Punkt brachte: „Je mehr Tatsachen Sie aufzählen, desto mehr werden Sie verkaufen. Die Erfolgschancen einer Anzeige steigen mit der Anzahl der über das Produkt aufgezählten Tatsachen.“ Was den Konsumenten veranlasse, ein Produkt zu kaufen, sei nicht eine besonders ausgefallene oder witzige Form einer Anzeige. Es sei der Inhalt der zähle, nicht die Form. „Ihr wichtigstes Problem besteht darin zu entscheiden, was Sie über Ihr Produkt sagen wollen und welche Vorteile Sie versprechen wollen.“ Beim Texten müsse man so tun, als würde man dem einzelnen Käufer von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Man solle nicht angeben oder versuchen, lustig, schlau oder verschroben zu sein. Man solle sich vor Wortspielen hüten, die nur Eingeweihte verstünden. Und man solle die Werbung an den Maßstäben eines Verkäufers messen, nicht an ihrem Unterhaltungswert.
Ogilvy vertrat seine Thesen mit dem Sendungsbewusstsein eines Missionars. Im Dezember 1996, zweieinhalb Jahre vor seinem Tod, schrieb der 85jährige im Vorwort zu seiner Autobiographie: „It puzzles me that I continue to be in demand as a speaker because I never say anything new. I keep on beating the drums for advertising that sells, and flogging those who think that advertising is entertainment. I will go to my grave believing that advertisers want results, and the advertising business may go to its grave otherwise.”
Ogilvy war seiner Zeit weit voraus, weil er vor allem an die Kraft des Direktmarketing glaubte, das heute in der Zeit des World Wide Web und der sozialen Netzwerke eine immer größere Rolle spielt. Die Direktwerbung war ihm deshalb so sympathisch, weil sich hier am einfachsten messen lässt, wie erfolgreich Werbung in dem von ihm definierten Sinne ist – ob sie also in der Lage ist, zu verkaufen. Ogilvy bestand deshalb darauf, dass jeder Mitarbeiter seiner Agentur ein Praktikum im Direktmarketing machen solle.
Ogilvy kämpfte mit seinen Überzeugungen gegen den Zeitgeist. Letztlich setzte er sich mit seinem Credo über die Werbung nicht durch, denn der Trend ging immer stärker zu genau dem, was er so entschieden bekämpft hatte. Das starke Einstehen für seine Überzeugungen, völlig unabhängig davon, ob diese nun dem „Zeitgeist“ entsprachen oder nicht, verband ihn mit vielen anderen erfolgreichen Menschen, die gerade deshalb Erfolg hatten und den Respekt ihrer Mitmenschen fanden, weil sie sich nicht opportunistisch an vorherrschende Modetrends anpassten. R.Z.