In jedem Buch über Marketing und Positionierung wird die Botschaft vermittelt, wie wichtig es ist, sich von Wettbewerbern zu unterscheiden. In diesem Buch geht es ausschließlich um dieses Thema. Die Autorin, Professorin für Marketing an der Harvard Business School, zeigt zunächst einmal, wie schwierig es ist, sich wirklich so zu unterscheiden, dass auch der Kunde das merkt.
Früher einmal reichte es einfach aus, lauter als andere zu sein. „Today, that kind of marketing is likely to appear as vacuous as a 1980s heavy metal band.“ (S. xii) Zwar gibt es immer mehr Produkte in einer Kategorie, aber sie unterscheiden sich meistens immer weniger voneinander bzw. die Unterschiede sind so trivial, dass sie vom Konsumenten, der ja kein Experte in der Produktkategorie ist, kaum wahrgenommen werden (S. 4). Immer mehr Konsumenten sind im Grunde der Meinung, dass die Unterschiede zwischen den Produkten eigentlich gleichgültig sind. „The differences are there, but they are lost in a sea of sameness.“ (S. 9) Der Ergebnis des Wettbewerbes ist nicht mehr Differenzierung, sondern Imitation und Nivellierung – wie allein ein Blick auf die sich immer ähnlicher werdenden Automobilmodelle zeige.
Dennoch: Auch wenn es in jeder Produktkategorie nur wenige Unternehmen gibt, denen es gelingt, sich wirklich zu differenzieren – dann ist es gerade deshalb interessant, sich genau mit diesen Unternehmen zu beschäftigen und zu schauen, was diese anders machen als ihre Wettbewerber (S. 14).
Der erste Teil des Buches („The Competitive Herd“) ist der Kritik gewidmet und befasst sich mit der Tendenz, dass die Produkte in den Augen der Konsumenten immer ähnlicher werden. Noch interessanter fand ich den zweiten Teil des Buches („No contest“), in dem Marken erwähnt werden, die tatsächlich etwas völlig anders gemacht haben als ihre Wettbewerber. Ein Beispiel ist die Firma Ikea, die nicht mehr, sondern weniger Kundenservice und Produktdifferenzierung bot, und auch deshalb erfolgreich war – auch in den USA (S. 117 ff.). Ein extremes Beispiel sind die beiden in Japan bzw. den USA bei Jugendlichen beliebten Textilmarken BAPE und Hollister (S. 169 ff.). Was hat die Marke BAPE anders gemacht als ihre Mitbewerber? Sie macht alles anders. Die Läden befinden sich gerade nicht in guten Lagen, sondern ganz bewusst an Standorten, die sehr schwierig für die Käufer zu finden sind. Man darf in den meisten BAPE-Läden auch nur ein einziges Kleidungsstück kaufen, und dies muss genau in der eigenen Größe sein. Die Textilien werden nur in einer begrenzten Limited Edition produziert, so dass es gar nicht so einfach ist, eines der Kleidungsstücke zu ergattern. Natürlich wird die Marke genau durch diese Verknappung sowie durch das ungewöhnliche Flair attraktiv.
Hollister, ebenso wie ihre Schwesterkette Abercrombie & Fitch, machen ebenfalls alles anders und richten sich nur ganz spezifisch an eine bestimmte Zielgruppe, während sie andere bewusst und dezidiert ausschließen. Die Autorin erkennt den Erfolg dieser Strategie an, obwohl sie gleichzeitig ihren Missmut darüber zum Ausdruck bringt, dass das funktioniert – einen Missmut, den ich als Rezensent nicht teile. Deshalb möchte ich Ihnen hier selbst mit meinen eigenen Worten die Geschichte von Abercrombie & Fitch erzählen, weil sie die These der Autorin untermauert, dass es nicht genügt, sich ein wenig zu differenzieren, sondern dass man sich massiv vom Gewohnten absetzen muss, um bei den Konsumenten Resonanz zu erhalten: Die bei Jugendlichen sehr beliebten Läden von A & F sehen vollkommen anders aus als normale Bekleidungsgeschäfte: In ihnen ist es so dunkel wie in einer Diskothek, die Musik ist ebenso laut. Über die Lüftungsanlage wird das Parfüm „Fierce“ verstreut, so dass die Kleider danach riechen. Vor allem: Das Bedienungspersonal ist sorgfältig und nach strengen Kriterien ausgewählt – es handelt sich ausschließlich um sehr gut aussehende junge Männer und Mädchen. Vor den Geschäften posieren zuweilen junge Männer mit Waschbrettbauch.
Die Kleidung, die in dem Geschäft angeboten wird, ist maßgeschneidert für Menschen mit einer guten Figur. Dies, sowie die Auswahl der Verkäufer nach optischen Kriterien, brachten freilich Feministinnen und andere Gruppen auf die Palme. Weniger gut aussehende Menschen fühlten sich diskriminiert und warfen dem Unternehmen „Sexismus“ vor. Umweltschützer protestierten gegen die „Luftverschmutzung“, weil man schon von außen das Parfüm riecht. Da das Unternehmen sich klar positioniert und auch keine Angst vor öffentlichen Kontroversen hat, braucht es keine Werbung. Auf klassische Anzeigenwerbung wird denn auch verzichtet, denn die richtige Positionierung sorgt für eine hohe mediale Aufmerksamkeit und das Übrige tut die Mund-zu-Mund-Propaganda in der jugendlichen Zielgruppe. Soweit die Story dieses Unternehmens.
Die Autorin zeigt anhand einiger Beispiele, wie Unternehmen sich erfolgreich positioniert haben, indem sie dem Trend, sich den Wettbewerbern anzugleichen, widerstanden haben. Ihre Botschaft lautet deshalb: Natürlich muss man auch den Wettbewerb beobachten. Aber wir verwenden alle zu viel Zeit, uns mit dem Wettbewerb zu beschäftigen und zu wenig Zeit, uns mit der Psychologie der Kunden zu befassen (S. 211). Eine intensive Wettbewerbsbeobachtung kann genau dazu führen, dass man sich im Sinne der vermeintlichen „Best Pratice“ immer stärker den Produkten der Wettbewerber annähert – statt Phantasie zu entwickeln, wie es gelingen kann, sich aus Kundensicht deutlich und erheblich zu unterscheiden, und nicht nur in Nuancen. „Now, to be clear, I am not suggesting that we should be ignoring our competition. But I do believe that it is important for us to begin looking at ourselves the way that consumers do. When consumers look at the brands within a particular category, more often than not, all they see is a competitive blur.” (S. 213)
Ich möchte ergänzen: Die Strategie, sich radikal zu unterscheiden, ist auch deshalb so wirkungsvoll, weil es Unternehmen und Produkten damit natürlich sehr viel leichter gelingt, die Aufmerksamkeit der Medien zu finden, die stets nach etwas „Neuem“ suchen und über provokante Strategien gerne berichten. Schon bevor im Dezember 2011 das erste Geschäft der Kette Abercrombie & Fitch in Deutschland eröffnete, berichteten die Medien ausführlich. Das „Handelsblatt“ beispielsweise brachte einen großen Artikel mit der Überschrift: „Viele Menschen haben in unserer Kleidung nichts zu suchen.“ Und genau das ist der Kern der Positionierung der Textilkette. Der Konzernchef Michael Jeffries wird in dem Artikel mit den Worten zitiert: „Viele Menschen haben in unserer Kleidung nichts zu suchen. Die Unternehmen sind in Schwierigkeiten, die alle erreichen wollen: jung, alt, fett, mager.“
Das Buch von Youngme Moon regt jeden Unternehmer oder Manager an, sich Gedanken zu machen, ob die Produkte und Dienstleistungen, die das eigene Unternehmen anbietet, nicht auch zu ähnlich sind und ob man mit einer radikalen Differenzierungsstrategie erfolgreicher sein könnte. Der Erfolg von Unternehmen wie Apple, deren Produkte nicht ein wenig anders sind als die des Wettbewerbers, sondern die sich grundsätzlich unterscheiden, sollte uns allen Mut machen, radikaler über die Unterscheidbarkeit nachzudenken. R.Z.