Dies ist kein bescheidenes Buch. Es ist im besten Sinne unbescheiden, nämlich im Sinne von „God helps those who help themselves“ – der expliziten oder impliziten Maxime des amerikanischen Selfmademans als Individuum und der Vereinigten Staaten als Nation. Mein Großvater hatte einen ähnlichen Wahlspruch: „Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige“. Aber ihm ging es eben nicht darum, die eigenen Geschicke in die Hand zu nehmen und Akteur zu sein, sondern um etwas Anderes, um etwas Defensives, um Pflichtbewusstsein. Ihm war es um die Pflicht nach außen zu tun, wohingegen der Selfmademan die Eigenverantwortung im Sinne hat. Für den amerikanischen Protestantismus sind durch Fleiß erworbener Reichtum und göttlicher Segen von jeher untrennbar miteinander verbunden gewesen, und der Autor von „Worte des Erfolgs“ scheint die Dinge ganz ähnlich zu sehen.
Dass eine große Zahl der zitierten Erfolgsautoren Amerikaner sind, überrascht so gesehen kaum. Wäre „Gott hilft denen, die sich selbst helfen“ weniger plakativ und nicht zu arrogant für europäische Ohren, hätte auch dieses Erfolgswort möglicherweise seinen Weg ins Buch gefunden. Tatsächlich zusammengetragen sind stattdessen 140 Aphorismen berühmter Köpfe aller möglichen Zünfte und Zeiten. Die Auswahl ist vorzüglich, aber was sie erst interessant macht, sind die Kommentare Zitelmanns, die in ihrer Abfolge einen geschlossenen Diskurs bilden und zur Not auch ohne die Aufhänger aus zwei Jahrtausenden auskämen.
Es ist ein ungeduldiges Buch, und das Unverständnis für Menschen, die sich, obschon talentiert, unter Wert verkaufen, lange schlafen, sich entschuldigen und bloß an der großen Masse messen, ist deutlich zwischen den Zeilen zu lesen (etwa S. 153). Noch in der Ausstattung zeigt sich die Ungeduld mit Menschen, die zaudern, ihr Potential zu verwirklichen: Im Vademecum-Format und mit abwaschbarem Einband, so dass das Brevier bequem in der Hosentasche mitzuführen ist, werden die Aphorismen dem Leser geradezu auf den Leib geschrieben. Wie ein roter Faden zieht sich die implizite Handlungsaufforderung durch das Buch, einfach die Augen aufzumachen und seinen Sinnen zu trauen. Dabei mutet Zitelmann dem Leser nicht mehr zu, als er ihm zutraut.
Es ist ein elitäres Buch, durchaus. Aber die Elite, die es meint, setzt sich nicht aus Akademikern und Unternehmern zusammen – auch wenn der Autor selbst beides ist. Vielmehr geht es um eine moralische Dimension, die nicht nur manchen Unternehmer zum Erfolg geführt haben, sondern letztlich allen zugänglich ist. Sie findet ihren vielleicht treffendsten Ausdruck im kategorischen Imperativ Kants und in Emersons Ideal der „Self-Reliance“ (ohne dass diese zitiert werden), deren gemeinsamer Nenner Disziplin ist. Erfolg muss nicht finanziell messbar sein, auch wenn das Buch kein Hehl aus seiner Ansicht macht, dass reich zu sein generell hilfreich sei (siehe Kapitel 10). In beinahe meditativem Gestus räumt es der Fähigkeit zur Fokussierung (Kapitel 11) und der inneren Ruhe (Kapitel 18) deutlich höhere Stellenwerte ein.
Ein Buch von einer unerwarteten Kontinuität. Zwar bleibt der Autor sich treu, denn „Worte des Erfolges“ setzt da an, wo „Setze dir größere Ziele!“ abließ. Aber während das erste Buch Steilvorlagen für die Ehrgeizigsten unter uns profilierte, legt dieses neue Werk nicht einfach nach, sondern schreibt sich von der – durchaus unterstellbaren – Wagenburgmentalität der „Over-Achievers“ frei auf eine Art, die nur deswegen nicht erstaunlich ist, weil sie vertraut wirkt. Denn beinahe mehr noch als in die Reihe der Spruchsammlungen stellt sich der Text in die Tradition von Selbsthilfebücher wie Benjamin Franklins „Poor Richard’s Almanack“ oder „The Way to Wealth“. Auch Franklin war zeitlebens überzeugt, dass persönliche Integrität unweigerlich zum Erfolg führen müsse – bei Armen wie bei Reichen. Nicht von ungefähr gehörte er zu den Gründervätern derjenigen Demokratie, die sich das oben genannte Prinzip auf die Fahnen schrieb und bis heute gut damit fährt.
Und so wird ein mitmenschliches Buch daraus, das neben der ungeduldigen Aufforderung zu Selbstdisziplin auch tiefes Verständnis für das Wesen des Menschen zeigt. Auf Seite 239 heißt es „Erfolgsmenschen unterscheiden sich jedoch dadurch von Verlierern, dass sie im Erfolg bescheiden und im Misserfolg nicht verzweifelt sind – zumindest nicht sehr lange“, und es ist der nachgestellte Halbsatz, der hier den Unterschied macht. Am zugestandenen Quäntchen Verzweiflung zeigt sich, dass es dem Autor nicht um Perfektion, sondern um Optimierung geht, um kleine, wenn auch beherzte Schritte. Um die Ingangsetzung eines Bewusstseinsprozesses, nicht um die blinde Umsetzung von Erfolgsformeln. Ja, es geht um nichts weniger als um ein holistisches Konzept, das im Geschäftlichen wie im Privaten das gleiche Maß anlegt – „the business of life“. Es soll dem Leser helfen, durch Selbstkritik zu einem erfüllten Leben zu finden.
Insgesamt handelt es sich – wie sollte es anders sein bei Zitelmann – um ein unglaublich konkretes Buch, das bei einem schwer greifbaren Thema doch stets zur Sache kommt und bei der Sache bleibt. Es schweift nicht ab, wird weder salbungsvoll noch belehrend. Dass die Handlungsvorschläge erfahrungsbasiert sind, liegt auf der Hand. Insbesondere diesem Maß an Konkretion verdankt das Werk daher seinen konstruktiven Gestus, seine Brauchbarkeit. Ein schönes Buch für den Nachttisch, ja, aber eins das nächtlich gelesen werden will, und wenig Erbauliches für den hat, der nicht selber baut.
Auffallend ist, wie wenige Staatsmänner zu Wort kommen, so als sei Erfolg in der Politik zu flüchtig, um zur Ableitung von Regeln zu taugen. Kaum ein Wort auch zum zwischenmenschlichen Erfolg, wie er sich am augenfälligsten in Zweier- und Familienbeziehungen niederschlägt. Möglicherweise auch dies eine zu heikle Spielart des Erfolgs, aber als Aussparung gewiss kein Zufall. Man darf im Gegenteil gespannt sein, welches Erfolgsthema das nächste Buch des Autors behandeln wird. Angenommen, es ginge darin um zwischenmenschlichen Erfolg oder politisches Geschick, wäre dies nur weitere Bestätigung für Kontinuität und weiterer Hinweis auf einen Gesamtentwurf, dessen Eckpunkte in „Worte des Erfolges“ bereits angelegt sind.
Georg Guillemin, Guillemin Translations
Auszüge aus dem Buch finden Sie auf der offiziellen Webseite: Rainer Zitelmann – Worte des Erfolges