Neulich hörte ich von einer ehemaligen Mitarbeiterin, die in unserer Firma als Assistentin tätig war und die danach im öffentlichen Dienst arbeitete. Offenbar war der Kulturschock für sie ähnlich groß wie für die Autorin dieses Buches, die zuvor als Chefsekretärin einer kleinen Marketingagentur arbeitete und dann zwei Jahre im öffentlichen Dienst als Sekretärin tätig war.
Schon das Einstellungsgespräch war ein Erlebnis der besonderen Art, denn nicht weniger als acht Personen der „Entscheidungsgruppe Personal/intern“, darunter die Frauenbeauftragte und ein Behindertenbeauftragter, nahmen sie ausführlich in die Mangel, um festzustellen, ob sie beispielsweise stenographieren könne. Nachdem sie eingestellt war, ließ es sich der Chef nicht nehmen, sie einen ganzen Tag lang durch sämtliche Zimmer zu führen und dabei jeweils ausgiebig den Lebenslauf der frisch eingestellten Sekretärin bekanntzugeben.
Neben ihrer Hauptaufgabe, nämlich den endlos langen Monologen ihres Chefs über Fußball und andere wichtige Dinge des Lebens zuzuhören, hatte sie den verantwortungsvollen Job, täglich die Post aus der zentralen Posteingangsstelle abzuholen. Sie wunderte sich, warum sie auf eisige Ablehnung stieß, als sie frühmorgens dort auftauchte, denn ein ungeschriebenes – und ihr zu dieser Zeit nicht bekanntes – Gesetz besagte, dass man hier vor neun nicht stören sollte. Eine Kollegin klärte sie auf, die versehentlich einmal früher da war und sich fragte, was all ihre Kollegen so zwischen sechs und neun arbeiteten. „Die ersten drei Büros waren dunkel und leer, obwohl die Kollegen im Zeiterfassungssystem als anwesend eingeloggt waren. Das vierte Büro war auch dunkel – aber nicht leer. Dort saß ihr Abteilungsleiter im unbeleuchteten Büro an seinem Schreibtisch und döste vor seinem Bildschirm. Er schreckte aus dem Halbschlaf hoch und hatte auch keine Ahnung, wo sich die anderen Kollegen gerade ‚versteckten‘. Einer fand sich dann angelehnt am Kaffeeautomaten in der Etagenküche, wie er müde an seinem ungespülten Becher nippte. Drei entdeckte sie im allerletzten dunklen Büro, die hatten es sich gemütlich gemacht mit einer kleinen Schreibtischlampe, fast wie bei Kerzenlicht. Sie bissen krachend in ihre Brötchen und erzählten sich gegenseitig Geschichten. Der nächste Kollege war mit dem ‚Geschäft‘ beschäftigt, zu dem er morgens zu Hause keine Zeit hatte, weil er eilig ins Büro musste. Er kam eine halbe Stunde später mit der Bildzeitung unter dem Arm vom Klo.“ (S. 78)
Die Beamten und Angestellten in dem Amt suchten sich während des Tages schon ihre Arbeit. Beispielsweise verbrachte die Autorin einige Wochen damit, einen eigenen Abteilungs-Eingangsstempel zu beantragen und herstellen zu lassen, mit denen die bereits bei der zentralen Posteingangsstelle des Amtes mit einem Eingangsstempel versehene Post noch einmal abgestempelt wurde, wohlgemerkt inklusive der Tageszeitungen und der Werbesendungen, die natürlich auch ihren Eingangsstempel bekommen mussten. Viel Zeit wurde darauf verwandt, sorgfältig zu diskutieren und abzuwägen, wie der neue Stempel aussehen sollte, ob etwa das Datum nur aus Ziffern bestehen oder der Monat ausgeschrieben werden sollte.
Wofür sie eigentlich eingestellt worden war, das blieb der Autorin schleierhaft. „Immer öfter frage ich mich, wofür ich überhaupt eingestellt wurde. Ich habe in meinem gesamten bisherigen Berufsleben noch nie so wenig gearbeitet. Und dabei gelte ich hier sogar als fleißig… Es fragt auch keiner, was ich eigentlich die ganze Zeit treibe. Nein, ich werde für meine Schnelligkeit gelobt. Immer wieder ist mein lieber Chef erstaunt: ‚Was sind Sie schon fertig damit?‘ Und das, obwohl ich mehr als getrödelt habe und zwischendurch zwei Privatmails geschrieben, eine Kurzgeschichte verfasst und im Internet gesurft habe.“ (S. 83 f.)
Man fragt sich beim Lesen dieser Zeilen: Sieht so der ideale Arbeitsplatz aus, den unlängst der DGB gefordert hat? Dort soll Stress verboten sein, und zwar durch eine Anti-Stress-Verordnung. Ob das die Arbeitnehmer jedoch wirklich glücklich machen würde, scheint fraglich. Die Autorin jedenfalls bekennt: „Das nutzlose Rumsitzen stresst mich sehr. Beim Schreiben dieses Satzes geht mir etwas durch den Kopf, ein Gedankenblitz: Vielleicht ist genau das ja der Grund, warum die meisten Kollegen hier so gestresst sind?“ (S. 84)
Das Buch liest sich wie eine Realsatire. Die Autorin ist in einer wunderlichen Welt gelandet, aus staubigen Akten, vierfachen Kopien von Speiseplänen und Kollegen, die die hohe Kunst entwickelt haben, ihre Ineffizienz als Geschäftigkeit erscheinen zu lassen. Und als Leser erinnert man sich immer wieder daran, dass die Krankheitsquote im öffentlichen Dienst höher ist als in allen Bereichen der privaten Wirtschaft – vermutlich wegen dem hohen Stress. Die Opfer dieses bürokratischen Wahnsinns sind Bürger, die dringend auf Entscheidungen warten.
Der Fairness halber möchte ich ergänzen: Sicherlich wird nicht überall im öffentlichen Dienst so „gearbeitet“ wie in dieser Hessischen Amtsstube. Und sicherlich gibt es hoch engagierte und verantwortungsbewusste Beamte – und ganz bestimmt geht es übrigens in manchen Großkonzernen leider teilweise ähnlich zu wie in der Amtsstube, in die es die Autorin verschlagen hat, die verständlicherweise lieber anonym bleiben wollte. R.Z.