Wie nutzen Bürger das Internet für ihre politische Kommunikation? Auf welche Weise verändert sich dabei ihr Kommunikationsverhalten? Und wie sind diese Veränderungen zu erklären? „Bürger online.“ geht diesen Fragen nach: Das Buch dokumentiert ein Forschungsprogramm, das von 2002 bis 2009 an der TU Ilmenau und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) durchgeführt wurde. In diesem Rahmen wurde in sieben Befragungswellen untersucht, wie die Deutschen das Internet für ihre politische Kommunikation verwenden. Das Besondere an der Studie: In ihrem Rahmen wurden nicht nur Daten über repräsentative Querschnittsbefragungen von jeweils rund 1.500 Personen erhoben, sondern für einen großen Teil der Befragten gibt es auch Paneldaten: Dadurch, dass viele der Teilnehmer jährlich befragt wurden, konnten auch Längsschnittanalysen durchgeführt werden, die Aufschluss über das sich wandelnde Kommunikationsverhalten während des gesamten Untersuchungszeitraums geben.
Ergebnisse der Studie
Die immer wieder hervorgebrachte Befürchtung, dass die zunehmende Internetnutzung zu einem Rückgang der politischen Kommunikationsaktivitäten führt, wird von der Studie nicht untermauert. Auch gibt es keine Hinweise auf eine zunehmende Politikverdrossenheit, die auf die Online-Kommunikation zurückzuführen ist. Weiterhin stellt die Studie heraus, dass die herkömmliche gedruckte Tageszeitung sowie Fernsehnachrichten weiterhin für die Bevölkerung insgesamt relevante tagesaktuelle Medien zur politischen Information sind. Die Daten zeigen allerdings auch, dass jüngere Menschen von den klassischen Massenmedien immer weniger erreicht werden. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Abkehr im eigentlichen Sinn. Denn: Die jüngeren Generationen haben sich den traditionellen Medien praktisch noch gar nicht zugewendet; stattdessen haben sie von Anfang an Online-Medien zur politischen Kommunikation genutzt. Das bedeutet aber auch, dass die Relevanz der Online-Medien schrittweise weiter zunehmen und sie die „alten“ Medien ablösen werden. Diesen Wandel des politischen Kommunikationsverhaltens sehen die Autoren als eine der wesentlichen Herausforderungen, denen sich politische Akteure künftig stellen müssen.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Das Internet hat die politische Informationsaktivität deutlich verstärkt. Zum einen werden neue Zielgruppen erreicht, zum anderen verstärken diejenigen ihre Informationssuche, die auch vorher schon politisch interessiert waren. Während 2002 weniger als 30 Prozent der Befragten das Internet als Quelle für politische Information nutzten, waren es 2009 fast 50 Prozent. Die Studie zeigt aber auch: Die Bürgerbeteiligung hat sich durch die neuen Möglichkeiten des Internets bislang nicht unmittelbar verstärkt. So hat nur eine sehr kleine Gruppe politisch Hochinteressierter Online-Medien für ihre politischen Aktivitäten genutzt und beispielsweise eine politische Website eingerichtet, politische Slogans über E-Mail versendet oder die sozialen Medien wie Facebook genutzt, um sich aktiv politisch zu beteiligen.
Darüber hinaus wurde das individuelle Nutzungsverhalten analysiert und fünf verschiedene Typen identifiziert, die sich jeweils durch ein spezifisches Muster politischer Kommunikation auszeichnen: Mit mehr als 40 Prozent der Befragten ist der am meist verbreitete Typus der „Passive Mainstreamer“, der weder online noch offline politisch sonderlich aktiv ist. Daneben gibt es den „Organisierten Extrovertierten“, der klassische Partizipationsformen bevorzugt, den „Eigennützigen Interessenvertreter“, der seine Kommunikationsaktivitäten je nach direktem persönlichen Nutzen auswählt, den ausschließlich offline aktiven „Traditionell Engagierten“ und schließlich den „Bequemen Modernen“. Dieser Typus sei der Prototyp der Veränderung durch das Internet. In der Studie heißt es hierzu: „Die Bequemen Modernen wickeln ihre politischen Kommunikationsaktivitäten weitgehend über das Internet ab, während sie sich für klassische politische Aktivitäten, wie Zeitungslektüre, Organisationsmitgliedschaften oder auch Wahlbeteiligung, unterdurchschnittlich interessiert. (…) Sie präferieren individuelle, schnelle und eben internetbasierte Formen der Beteiligung.“ (S. 304) Deshalb spiele dieser Typ eine tragende Rolle für die sogenannte vernetzte Demokratie.
Fazit
Es sind die Autoren selbst, die am Ende des Buchs darauf hinweisen, dass die Ergebnisse der Studie recht unspektakulär sind. Doch gerade deshalb sind sie so bedeutend. Denn sie bestätigen viele bereits stark diskutierten Annahmen und liefern zu diesen eine stichfeste Datenbasis. Ein weiteres Plus: Viele weitere Informationen zu dem Forschungsprojekt sind online verfügbar (bespielweise die Dokumentation der Fragebögen oder Vortragspräsentationen) unter www.politische-online-kommunikation.de. Außerdem gibt es unter www.buerger-online.net zusätzliche Informationen zu den Autoren sowie dem Buch und dessen Rezeption.
Es lässt sich festhalten: Das Buch richtet sich zwar in erster Linie an Fachleute, also Wissenschaftler und Studierende im Bereich der Kommunikations- und Politikwissenschaft. Die Ergebnisse der Studie und die daraus zu ziehenden Schlüsse werden aber so gut präsentiert und aufbereitet, dass sie stets auch für den interessierten Laien verständlich sind – und somit auch für Journalisten, politische Akteure und eine breitere Öffentlichkeit nützlich sein können. J.W.