Hat sich die Situation der Afro-Amerikaner unter der Regierung Obama verbessert? Der Autor, selbst Afro-Amerikaner und über 20 Jahre Journalist beim „Wall Street Journal“, zieht ein bitteres Fazit: Als Obama im Januar 2009 seine erste Amtszeit begann, betrug die Arbeitslosenrate bei Afro-Amerikanern 12,7 Prozent, bei Weißen 7,1 Prozent. Am Wahltag für seine zweite Amtsperiode im November 2012 war sie auf 14,3 Prozent bei Afro-Amerikanern gestiegen und bei Weißen nahezu gleich geblieben (7 Prozent), „which meant that the black-white unemployment gap had not only persisted, but widened, during Obama’s first term“. (S. 9) Das mittlere Haushaltseinkommen von Weißen ist seit der Rezession in den USA um 3,6 Prozent gefallen, das der Schwarzen jedoch um 10,9 Prozent. (S. 10) Auch andere Kennzahlen, wie etwa die Zahl der Hochschulabschlüsse, haben sich in der Obama-Zeit für schwarze Amerikaner nicht verbessert, sondern verschlechtert.
Der Autor belegt sehr gut die These, dass sich mehr politische Macht keineswegs automatisch in verbesserte Lebensbedingungen umsetzt. Zwischen 1970 und 2001 stieg die Zahl der in politische Ämter gewählten Afro-Amerikaner von 1500 auf 9000. „But they would have to acknowledge, that this political success had not redounded to the black underclass. Between 1940 and 1960 – that is, before the major civil rights victories, and at a time, when black political power was nearly nonexistent – the black poverty rate fell from 87 percent to 47 percent. Yet between 1972 and 2011 – that is, after major civil rights gains, as well as the implementation of Great Society programs – it barely declined, from 32 percent to 28 percent, and remained three times the white rate, which is about what it was in 1972.“ (S. 21)
Dass mehr oder weniger politischer Einfluss nicht unbedingt etwas mit der wirtschaftlichen Situation zu tun hat, zeigt auch ein Vergleich zu Amerikanern asiatischer Abstammung. Diese sind in den USA die am besten ausgebildete und am meisten verdienende Bevölkerungsgruppe. 49 Prozent von ihnen haben einen Bachelor-Abschluss, dagegen nur 31 Prozent der Weißen und 18 Prozent der Schwarzen. Das mittlere Haushaltseinkommen liegt für Amerikaner asiatischer Abstammung bei 66.000 USD, was 12.000 USD mehr ist als von weißen Haushalten und doppelt so viel wie von schwarzen Haushalten. Indes haben Amerikaner asiatischer Abstammung kaum einen politischen Einfluss. „Between 1990 and 2000 the number of elected officials grew by 23 percent among blacks but only 4 percent among Asians.“ Der Autor zitiert einen Wissenschaftler, dessen Studien eindeutig belegen: „Empirically, political activity and political success have been neither necessary nor sufficient for economic advancement. Nor has eager political participation or outstanding success in politics been translated into faster group achievement.“ (S. 22 f.)
Der Grund für den großen wirtschaftlichen Erfolg von Amerikanern mit asiatischem Hintergrund sei deren sehr ehrgeizige Kultur, in der Disziplin und Streben nach Bildungsabschlüssen und wirtschaftlichem Erfolg einen besonders hohen Stellenwert hätten. Im zweiten Kapitel befasst sich der Autor mit kulturellen Fragen. Hier sieht er den Schlüssel für die nach wie vor bestehende Ungleichheit zwischen schwarzen und weißen Amerikanern.
Er fordert von den Afro-Amerikanern, selbstkritischer zu sein und die Schuld für nach wie vor bestehende Ungleichheiten nicht pauschal stets nur bei rassistischen Vorurteilen von Weißen oder in der Geschichte der Sklaverei zu suchen. Zustimmend zitiert er Martin Luther King: „We know there are many things wrong in the white world, but there are many things wrong in the black world, too. We can’t keep on blaming the white man. There are things we must do for ourselves.“ (S. 47)
Die Verherrlichung von Gewalt und Drogendealern durch populäre Rapper wie Jay-Z ist nur eines von vielen Beispielen für die von ihm kritisierte Kultur. Der Autor zeigt anhand von Beispielen aus seinem eigenen Leben, wie schwer er es oftmals hatte, sich in seiner Umwelt zu behaupten, weil ihm sein ehrgeiziges Streben in der Schule und die Bemühung, korrektes Englisch zu sprechen, als „Acting White“ vorgeworfen wurden. Mit dem Begriff „Acting White“ würden unter Afro-Amerikanern Verhaltensweisen kritisiert, die sich an den traditionellen amerikanischen bzw. angelsächsischen Werten orientierten.
Ein besonderes Problem sei, dass in den USA traditionelle Familienwerte zunehmend zerstört würden. 2011 lebten 33 Prozent der Kinder in den Vereinigten Staaten allein mit ihrer Mutter und ohne Vater. Unter Afro-Amerikanern lag die Quote jedoch bei 64 Prozent. Selbst wenn man bei wirtschaftlich gleich gestellten Personen beider Gruppen den Anteil alleinerziehender Mütter vergleiche, ergebe sich, dass 41 Prozent der armen Hispanics mit beiden Elternteilen aufwachsen, 32 Prozent von armen weißen Familien, aber nur 12 Prozent von armen schwarzen Familien. (S. 37) Die Wahrscheinlichkeit, in der Schule und im Berufsleben zu scheitern, sei für Kinder alleinerziehender Mütter deutlich höher als für solche, die mit beiden Elternteilen aufwachsen. Und gerade im Ghettomilieu träten oft Gangs an die Stelle der schwachen bzw. nicht vorhandenen Familien und gäben den jungen Afro-Amerikanern eine vermeintliche Orientierung, die ihnen jedoch massiv schade.
Die Hauptthese des Autors ist jedoch, dass der Wohlfahrtsstaat in den USA die Situation der schwarzen Bevölkerung nicht verbessert habe, sondern ein Hauptgrund dafür sei, dass es hier so wenige Fortschritte, ja sogar Rückschritte gegeben habe. In Kapitel vier befasst sich der Autor ausführlich mit den Mindestlöhnen. Die Lektüre lohnt sich übrigens gerade für Deutsche, nachdem ja jetzt in Deutschland der Mindestlohn eingeführt wurde. Denn der Autor belegt eindrücklich, dass fast alle wissenschaftlichen Studien zu dem Ergebnis kamen, die Einführung von Mindestlöhnen habe zu höherer Arbeitslosigkeit geführt – und das Los der armen Bevölkerungsteile nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert. Der Autor belegt, dass Einführung von Mindestlöhnen in den USA in den 30er Jahren sogar ein bewusstes Instrument war, „to protect white union workers from competition from nonunion blacks“. (S. 97) Ein solches rassistisches Motiv unterstellt er den heutigen Befürwortern von Mindestlöhnen in den USA natürlich nicht, aber er kommt zu dem Ergebnis, dass in der Tat auch heute die Afro-Amerikaner die Hauptleidtragenden der Mindestlohn-Politik sind. Es greife zu kurz, rassistische Diskriminierung als Ursache für höhere Arbeitslosigkeit anzuführen. Denn: „Yet in 1930, when racial discrimination was infinitely more open and rampant, the black unemployment rate was lower than that of whites. And until around 1950 the unemployment rate for young black men was much lower than today, and similar to whites in the same age group.“ (S. 101)
Ein Hauptgrund für die weiter bestehende Ungleichheit sei das verfehlte Bildungssystem in Amerika, mit dem sich der Autor im fünften Kapitel befasst. Er nennt zahlreiche Beispiele von privaten Schulen, gerade in Vierteln wie Harlem, die ungleich bessere Ergebnisse erreichten als öffentliche Schulen. Die Bildungschancen von Schwarzen im traditionellen amerikanischen Schulsystem seien sehr gering. Auch hier wirke sich der übergroße Einfluss der Lehrergewerkschaften aus, die die Interessen der Lehrer als Berufsgruppe vertreten – und eben nicht die der Schüler. 2009 wollte Michael Bloomberg in New York zwei öffentliche Schulen in Harlem schließen und diese durch private Schulen ersetzen, weil diese sehr viel bessere Ergebnisse zeigten. Eine der Schulen hatte Platz für 628 Schüler, wurde aber nur noch von 194 besucht. Die andere hatte Platz für 1.007 Schüler, aber nur noch 310 besuchten sie. Die Eltern der Kinder hatten auf diese Weise bereits ihre Meinung zu den Schulen geäußert. Für die private Schule in Harlem bewarben sich 6000 Schüler auf 500 Plätze. (S. 128 f.) Die privaten Schulen seien deshalb so viel effizienter, weil sie die Möglichkeit hätten, außerhalb der engen Regeln der Lehrergewerkschaft zu operieren. (S. 127)
Im sechsten Kapitel setzt sich der Autor kritisch mit der sogenannten „affirmative action“ auseinander. Seit mehreren Jahrzehnten gibt es in den USA – beispielsweise an Universitäten – Quoten für „Minderheiten“ (nicht für alle, aber z.B. für Afro-Amerikaner). Um diese Quoten zu erreichen, wurden z.B. die erforderlichen Punktzahlen bei Aufnahmetests für Universitäten für Afro-Amerikaner gesenkt. „The history of affirmative action in academia since the 1970s is a history of trying to justify holding blacks to lower standards in the name of helping them.“ (S. 157)
Der Autor zeigt, dass die positiven Wirkungen, die man sich davon erhofft hat, keineswegs eingetreten sind, dafür jedoch zahlreiche negative Wirkungen: Der Autor zitiert einen Kritiker: „Admitting black students by lower standards has precisely the opposite effect: It reinforces the pernicious notion that blacks are not academically talented.“ (S. 164)
Durch die „affirmative action“ sei das verraten worden, wofür die Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King ursprünglich angetreten sei, dass nämlich die Hautfarbe in Amerika keine Rolle spielen dürfe. Die „affirmative action“, also die Diskriminierung von bestimmten Gruppen zugunsten anderer, stehe im Widerspruch zum Grundgedanken der amerikanischen Verfassung, nach der alle Menschen gleich behandelt werden sollten. „As far as the Constitution is concerned“, so zitiert er einen anderen Kritiker, „it is irrelevant whether a government’s racial classifications are drawn by those who wish to oppress a race or by those who have a sincere desire to help those thought to be disadvantaged“. (S. 153)
Die Quotenregelungen hätten mehr Schaden als Nutzen gestiftet. Denn die Zahl der schwarzen Studenten sei zwar gestiegen, aber die meisten, die durch Quotenregelungen den Zugang zu einer Eliteuniversität bekamen, hätten dann keinen Abschluss gemacht. Die University of California habe nach diesen Erfahrungen die „affirmative action“ wieder abgeschafft. Daraufhin sei die Zahl der schwarzen Studenten nur ganz unwesentlich gesunken, die Zahl der erfolgreichen Absolventen unter ihnen aber ganz erheblich gestiegen. Dies erregte in den USA großes Aufsehen, und sogar die „New York Times“ berichtete auf ihrer Titelseite darüber. Offenbar ist auch dies eines von vielen Beispielen, dass gut gemeinte Maßnahmen oft das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt ist.
Fazit: Es ist das engagierte Buch eines Afro-Amerikaners, der zu dem Ergebnis kommt, dass alle gut gemeinten Bemühungen des Wohlfahrtsstaates, die Situation der Schwarzen in den USA zu verbessern, eher das Gegenteil des Intendierten bewirkten. Besonders kritisch setzt er sich mit linken Intellektuellen auseinander, die Probleme entweder leugneten oder aber vorschnell rassistische Haltungen von weißen Amerikanern dafür verantwortlich machten, statt tiefer zu bohren und sich kritisch mit kulturellen Faktoren zu beschäftigen, die zu der – vom Autor nachdrücklich beklagten – faktischen Ungleichheit zwischen schwarzen und weißen Amerikanern führten. R.Z.