Dieser Band enthält interessante Beiträge zur Reichtumsforschung. Das Problem der Reichtumsforschung ist, dass es über die Reichen und Superreichen nur wenige Daten gibt, weil ihr Anteil an der Bevölkerung so gering ist, dass sie in den üblichen Stichproben verschwinden. Die Erhebung „Vermögen in Deutschland“, bei der 472 Vermögende befragt wurden, ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Im ersten Teil des Buches wird die Konzeption dieser Befragung erläutert.
Interessant fand ich den Beitrag von Tarek el Sehity und Anna Schor-Tschudawskaja über „Die Perspektiven der Vermögenskulturforschung“. Sie zeigen, dass etwa 82 Prozent der Reichen gesellschaftlich engagiert sind, weit mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung (S. 98). Zwei Drittel der Reichen in Deutschland stimmen der Ansicht zu: „Vermögende Personen haben eine höhere gesellschaftliche Verantwortung als nicht vermögende Personen und sollten sich daher auch stärker finanziell (z.B. philantrophisch) engagieren.“ (S. 164) 52 Prozent spenden für soziale Zwecke, 43 Prozent für Krisen- und Katastrophenhilfe (S. 119).
Damit stehen die deutschen Vermögenden nicht allein. Die Milliardäre Warren Buffett und Bill Gates haben vor einigen Jahren eine Initiative „The Giving Pledge“ („das Spenden-Versprechen“) gegründet, der sich bislang 100 Superreiche angeschlossen haben, so Oracle-Gründer Larry Ellison, der CNN-Gründer Ted Turner oder Facebook-Gründer Zuckerberg. Sie alle haben sich verpflichtet, mindestens die Hälfte ihres Vermögens zu spenden.
Mir sind dabei folgende Gedanken in den Kopf gekommen: Müssen „die Reichen“ ihre Existenzberechtigung wirklich damit rechtfertigen, wie viel sie spenden und „an die Gesellschaft zurückgeben“? Steckt in dieser Formulierung nicht bereits ein großer Irrtum? Und hilft es den Reichen wirklich in der gesellschaftlichen Akzeptanz, wenn sie sich engagieren und spenden? Es gibt Menschen, die sogar die Spenden der Reichen kritisieren. Es sei nicht demokratisch, so ihre Kritik, wenn die Reichen entschieden, wo und wie geholfen wird. Nach Meinung der staatsgläubigen Kritiker wäre es viel besser und gerechter, wenn der Staat den Reichen einen Großteil ihres Vermögens abnehmen und die Politiker dann bestimmen würden, wie und an wen es verteilt wird.
Die Spenden der Reichen beantworten, so finde ich, in der Tat auch nicht die Frage nach dem Nutzen, den sie für unsere Gesellschaft leisten. Ihr Nutzen liegt meiner Meinung nicht in erster Linie in ihren philanthropischen Aktivitäten, sondern darin, dass sie Unternehmen gründen und führen, die der Anker unserer Wirtschaft sind, dass sie Produkte erfinden, die unser Leben bereichern. Die meisten Leser dieser Rezension benutzen wahrscheinlich ein Textverarbeitungsprogramm von Microsoft (Bill Gates), benutzen „Google“ (Sergej Brin und Larry Page), wenn sie nach Informationen im Internet suchen, waren auch schon einmal bei Aldi (Albrecht-Brüder) oder Lidl (Dieter Schwarz) einkaufen oder bei Starbucks (Howard Schulz) einen Kaffee trinken, sind vielleicht bei Facebook (Mark Zuckerberg) oder haben schon einmal einen „Joghurt mit der Ecke“ (Theo Müller) gegessen. All diese Unternehmensgründer sind heute Milliardäre und haben unser Leben bereichert – egal ob sie spenden oder nicht.
Das vorliegende Buch kann in mancher Hinsicht dazu beitragen, Klischees zu widerlegen. Ich erinnere mich an den „Spiegel“-Bestseller „Die Asozialen“ – das Buch hatte ich auch hier besprochen. In diesem Buch hieß es: „Die typischen deutschen Reichen sind Anleger und Erben.“ Und: „So ist die Oberschicht nicht die Leistungselite der Wirtschaft, wie viele noch immer glauben. Die einstigen Gründer und Unternehmenslenker entwickeln sich zu reinen Anlegern, die lieber ihr Geld für sich arbeiten lassen.“
Der vorliegende Sammelband und die Untersuchung „Vermögen in Deutschland“ belegen, wie haltlos solche Thesen sind, die man immer wieder hören und lesen kann. Denn, so zeigen Wolfgang Lauterbach und Alexander Tarvenkorn in ihrem Beitrag „Homogenität und Heterogenität von Reichen im Vergleich zur gesellschaftlichen Mitte“: 34,1 Prozent der Reichen in Deutschland sind Unternehmer mit zehn und mehr Mitarbeitern; 30,5 Prozent sind Unternehmer, in deren Firma bis zu neun Angestellte arbeiten und 14,6 Prozent sind Freiberufler (Ärzte, Anwälte usw.); zwölf Prozent sind leitende Angestellte (S. 72). Ja, das genau ist die Leistungselite unserer Wirtschaft.
Und Reiche arbeiten nicht weniger, sondern mehr als die Angehörigen der Mittelschicht: 82,4 Prozent der HNWIs arbeiten Vollzeit, aber nur 73,7 Prozent der Angehörigen der Mittelschicht arbeiten Vollzeit (S. 64). Besonders der Unterschied zwischen Frauen in HNWI-Haushalten und Frauen in Mittelschicht-Haushalten ist groß: 60 Prozent der Frauen in HNWI-Haushalten arbeiten Vollzeit, aber nur 48 Prozent der Frauen in Mittelschicht-Haushalten (S. 64).
Ein wichtiges Ergebnis der Reichtumsforschung, das Tarek el Sehity und Anna Schor-Tschudnowskaja in ihrem Beitrag belegen: Reiche denken anders als die Mehrheit der Gesellschaft. Sie machen nicht andere für ihre Situation verantwortlich. „Wie mein Leben verläuft, hängt von mir selbst ab“, sagen 87,5 Prozent der Reichen (S. 160) Und 58,7 Prozent der Reichen stimmten der Aussage zu: „Wenn jemand immer wieder bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt, hat er meist selbst dazu beigetragen.“ (S. 163) Nur 2,5 Prozent der Reichen, so ein Ergebnis der Studie „Vermögen in Deutschland“, weisen eine sehr niedrige „Kontrollüberzeugung“ auf (S. 161). 62,1 Prozent erreichten dagegen den allerhöchsten Score in der Skala der „Kontrollüberzeugung“, d.h. sie waren davon überzeugt, dass sie selbst die Kontrolle über ihr Leben haben und selbst verantwortlich dafür sind, ob sie Erfolg oder Misserfolg haben. Vielleicht ist genau das ein wesentlicher Grund, warum sie es zu Reichtum brachten? R.Z.