Die Schweiz hat – nach Singapur und Hongkong – die dritthöchste Millionärsdichte in der Welt. Der vorliegende Band befasst sich mit den Multimillionären und Milliardären in der Schweiz. Es enthält Abhandlungen über die Geschichte des Reichtums, über theoretische Konzepte (Klassen, Schichten, Milieus usw.), über Macht und Einfluss der Reichen, über die Berichterstattung der Medien zum Thema Reichtum sowie über die Steuerpolitik.
Der politische Standpunkt der Soziologen ist links – wie in einem Buch, das im Rotpunkt-Verlag erschienen ist, auch nicht anders zu erwarten. Durch das Buch zieht sich daher die Klage über die zunehmende „Ungleichverteilung“, also über die wachsende Kluft zwischen Reichen und Armen. Am Ende des Bandes werden ein „Lohndeckel nach oben und Mindestlöhne für unten“ als „unerlässlich“ bezeichnet (S. 383) sowie zahlreiche Steuererhöhungen gefordert, so etwa für Immobilienbesitz (S. 384).
Interessant sind die Interviews, die mit Millionären geführt wurden. Die Autoren haben 100 Interviews geführt und Auszüge aus 40 Interviews veröffentlicht. In den Auszügen wird jedoch deutlich, dass nicht alle Interviewpartner Millionäre sind – so wird etwa ein Pressesprecher interviewt.
Themen der Interviews sind u.a. die Frage, wie die Millionäre die Ursachen der Finanzkrise einschätzen, wie Reiche ihre Interessen vertreten, wie „innovativ und sozial verantwortlich“ sie handeln usw. Die Frage der Reichtumsgenese spielt leider nur eine sehr untergeordnete Rolle und wird nur recht oberflächlich auf wenigen Seiten behandelt.
Da die Interviews mit Namen der Interviewten veröffentlicht werden, mussten sich die Verfasser darauf einlassen, diese zuvor autorisieren zu lassen. Leider merkt man das vielen Interviews an. Jeder Journalist vermeidet dies, wenn immer es möglich ist, weil er weiß, dass im Zuge der Autorisierung oft so viele Ecken und Kanten abgeschliffen werden, dass nur noch inhaltsleere und langweilige Statements herauskommen. Die Verfasser berichten denn auch, dass im Zuge der Autorisierung teilweise wichtige Aussagen weggelassen oder Aussagen stark umformuliert worden seien (S. 169). Herausgekommen sind dabei teilweise Sprechblasen wie etwa diese: „Entscheidend für mein erfolgreiches Wirken im Interesse aller Stakeholder sind meines Erachtens unter anderem ein gelebtes Wertesystem, transparente ‚Spielregeln‘, eine funktionierende, von gegenseitigem Respekt geprägte Zusammenarbeit zwischen dem Verwaltungspräsidium und dem CEO sowie zwischen Konzernleitung und Verwaltungsrat… Was das Umfeld betrifft, versuche ich die Interessen durch verschiedenste Diskussionen wahrzunehmen. Dabei sind Transparenz in der Argumentation und glaubwürdiges Abwägen von Unternehmensinteressen, volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen von größter Bedeutung.“ (S. 208) Ob solche Sprechblasen das Ergebnis des Redigierens durch eine PR-Abteilung im Zuge der Autorisierung sind oder ein Ergebnis gewohnheitsmäßiger Sprachrituale, sei dahingestellt – Erkenntnisgewinn lässt sich aus solchen Verlautbarungen nicht ableiten.
Wie erklären sich die Reichen selbst ihren Erfolg? Nicht selten finden sich Hinweise auf „Glück“ oder „Zufall“, doch solche Äußerungen kann man zu einem großen Teil sicher als Ausdruck einer unbewussten Neidabwehr (so eine Formulierung des Soziologen Schoeck) deuten. „Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben“, so zitieren die Verfasser einen von ihnen (S. 182). Auch andere Interviewte führen den „Zufall“ als einen wichtigen Faktor zur Erklärung ihres Erfolges an (S. 207). Trotz solcher Bekundungen kamen die Soziologen zu dem – auch aus meiner Sicht zutreffenden – Schluss: „Reiche schreiben die Vermehrung ihres Reichtums überwiegend persönlichen Eigenschaften zu… Wer reich ist, scheint daran ein persönliches Verdienst zu haben. Reiche haben – teilweise wegen ihrer materiellen Ressourcen – das Gefühl, über außergewöhnliche Fähigkeiten zu verfügen.“ (S. 310)
Die hohe Leistungsorientierung wird in vielen Interviews deutlich – ebenso wie die Tatsache, dass sich oft schon in der Jugend manches andeutete, was den späteren Erfolg plausibel macht. Einer der Interviewten führt aus: „Ich war schon in der Schule immer in Führungspositionen, als Klassenchef und als Captain in der Fußballmannschaft. Ich glaube, es braucht gewisse Voraussetzungen vom Charakter her…“ (S. 169) Ein anderer Interviewpartner erwähnt, dass er zwölf Jahre lang Leistungssportler war (S. 203) und ein weiterer berichtet, dass er früher im Schweizer Nationalteam Handball gespielt habe (S. 207).
Welche Rolle spielt Geld als Motiv? Geld wird – wenn überhaupt – fast nur mit der Versicherung erwähnt, es sei für die Person kein wichtiges Handlungsmotiv. Allenfalls wird das anderen unterstellt, aber für sich selbst weist man es weit von sich. Auf die Frage, ob er den Eindruck habe, „dass bei vielen Unternehmern nicht einfach das Geld im Vordergrund steht“ antwortet ein Befragter: „Ich habe nie daran gedacht, dass ich damit Geld verdienen könnte. Im Gegenteil, es war ein riesiges Risiko… Aber es gibt bei den Unternehmern schon eine Veränderung der Kultur. Heute steht der Gewinn stärker im Vordergrund. Aber wir leben heute in einer Zeit, in der wir alle zu Piranhas geworden sind, ob es uns bewusst ist oder nicht.“ (S. 198)
Ein anderer Interviewpartner erklärt auf die Frage, was Geld und Reichtum für ihn bedeute: „Geld ist immer nur Mittel zum Zweck. Die Anhäufung von materiellem Reichtum per se ist gefährlich, wenn sie nicht mit der nötigen Bescheidenheit und Menschlichkeit begleitet wird.“ (S. 251) Ein dritter Interviewpartner räumt defensiv ein, das „Besitz und Reichtum an sich nichts eigentlich Schlechtes“ seien und begründet dies damit: „Wer Geld hat, hat auch die Möglichkeit, in eigener Verantwortung Gutes zu tun. Er kann teilen, unterstützen, helfen.“ (S. 242)
Es fällt auf, dass sich viele der Millionäre kapitalismuskritisch geben und die steigende Ungleichverteilung von Reichtum beklagen. Dies mag teilweise Ausdruck einer inneren Verunsicherung der Finanzeliten im Zusammenhang mit der Finanzkrise sein (die Interviews wurden auf dem Höhepunkt der Finanzkrise bzw. kurz danach geführt). Andererseits ist diese sehr „selbstkritische“ Tendenz sicher ebenfalls der Tatsache geschuldet, dass die Interviewten wussten, dass ihre Äußerungen mit Namen veröffentlicht werden. Man kennt aus der Meinungsforschung das Problem „sozial erwünschter Antworten“, womit gemeint ist, dass Interviewpartner so antworten, wie sie erwarten, dass es von den Interviewern bzw. allgemein in der Gesellschaft erwartet wird. R.Z.