Was ist liberal? Heute wird der Begriff oft missverständlich verwendet. In den USA ist er gleichbedeutend mit „sozialdemokratisch“, in Deutschland kann man oft hören die „Grünen“ seien angeblich liberal (obwohl keine Partei so viel von Verboten spricht wie sie).
10 liberale Prinzipien
Dieses Büchlein ist als Einführung in die Ideenwelt des Liberalismus hervorragend geeignet. Mit einfachen Worten erklärt der Autor, was die Grundlagen des Liberalismus sind – und wo er seinen historischen Ursprung hat. Im Mittelpunkt des Liberalismus stehen der Begriff der Freiheit und ein Misstrauen gegen einen zu starken Staat. Wie ein liberales Manifest lesen sich die „Zehn Prinzipien des klassischen Liberalismus“ (S. 30 ff.):
- Im Zweifel für die Freiheit.
- Vorrang des Individuums vor dem Kollektiv.
- Minimierung von staatlichem Zwang.
- Toleranz.
- Beschränkte und repräsentative Regierung.
- Herrschaft des Rechtes. Rechtsstaatlichkeit soll die Macht der Politik beschränken.
- Die spontane Ordnung ist allen konstruierten Systemen (wie etwa der Planwirtschaft) überlegen.
- Wohlstand wird durch Privateigentum, Handel und freie Märkte erzeugt.
- Zivilgesellschaft: Vereine, Zusammenschlüsse, Religionsgemeinschaften usw. sind ein Puffer zwischen Individuen und Regierungen.
- Gemeinsame menschliche Werte.
Freiheit und spontane Ordnung
Wesentlich ist die Idee der spontanen Ordnung. Liberale sind dagegen, ideale staatliche Systeme zu konstruieren. So wie Sprachen mit ihren grammatischen Regeln nicht von Politikern oder Intellektuellen erfunden bzw. erdacht wurden, sondern sich spontan entwickelt haben, so entwickeln sich auch gesellschaftliche und ökonomische Systeme besser spontan als durch Konstruktionen, die sich Intellektuelle oder Politiker so gerne ausdenken. Die Erfahrung zeigt: „Jedes Mal, wenn Menschen versucht haben, eine vorgeblich ‚vernünftige‘ Gesellschaft zu schaffen, endete dies in einer Katastrophe.“ (S. 56)
Nach der liberalen Vorstellung endet die Freiheit des Menschen dort, wo er die Freiheit seiner Mitmenschen einschränkt. Aufgabe des Staates ist es jedoch nicht, beispielsweise die Menschen vor „unvernünftigem“ Verhalten zu schützen, mit dem sie nur sich selbst schaden. „Natürlich können wir die religiösen Überzeugungen anderer Menschen verabscheuen, ihre politischen Ansichten ablehnen, ihren Lebensstil schrecklich, ihr Verhalten unmöglich und ihr Benehmen widerwärtig finden. Wir können durch ihre Ideen und Meinungen auch schockiert sein. Wir können uns Sorgen machen, dass sie ihrer eigenen Gesundheit durch Drogen oder ihrer eigenen Zukunft durch ihr unsoziales Verhalten schaden. Doch all dies sind keine Gründe, Gewalt einzusetzen bei dem Versuch, sie dazu zu bringen, anders zu handeln. Klassische Liberale sagen, dass die Überzeugungen, das Verhalten, der Lebensstil oder die moralischen Entscheidungen von Menschen keinem Verbotssystem unterliegen dürfen, das die drastische Zwangsgewalt des Staates für sich nutzt.“ (S. 64)
Schon der liberale Vordenker John Stuart Mill (1806 – 1873) argumentierte: Wenn wir anfangen, Dinge zu verbieten, die nachweisbaren Schaden weder hervorrufen noch hervorzurufen drohen, werden wir über kurz oder lang alles verbieten. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Staates, jemandem einen bestimmten Lebensstil vorzuschreiben, eine bestimmte Religion zu bewerben oder sich für einen bestimmten ethischen Kodex einzusetzen (S.72). Mill argumentierte, dass es viele positive Gründe gibt, warum wir unterschiedliche Meinungen eher begrüßen sollten, statt sie zu zensieren. Individualität, Originalität, Innovation und verschiedenartige Ideen waren in seinem Verständnis Motoren des menschlichen Fortschritts (S. 67).
Ein liberales Argument gegen staatliche Eingriffe – in das gesellschaftliche wie in das wirtschaftliche Leben – ist, dass sie oft das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt wird. „So hat zum Beispiel der Versuch, Diskriminierung am Arbeitsplatz zu vermeiden und zu garantieren, dass Leistung angemessen gewürdigt wird, zu ‚positiver Diskriminierung‘ geführt, sodass nun Menschen eingestellt werden, weil sie bestimmten Quoten entsprechen – und nicht aufgrund ihrer Leistung.“ (S. 69)
Liberale und die Demokratie
Liberale sehen zwar in der Demokratie die vergleichsweise beste Ordnung, verkennen aber nicht die Gefahren. Schon Mill warnte vor der „Tyrannei der Mehrheitsmeinung“. Wahlen dienen nach liberalem Verständnis weniger dazu, „um unsere Anführer auszuwählen, sondern um sie zu beschränken“ (S. 86). „Bei Wahlen geht es nicht so sehr darum, gute Anführer auszuwählen, sondern darum, schlechte loszuwerden“ – eine Formulierung, die mir sehr gut gefallen hat (S. 33 f.)
„Eine echte repräsentative Demokratie ist nicht dasselbe wie eine durch eine Wahl bestimmte Diktatur und sollte sich auch niemals in diese Richtung entwickeln dürfen.“ (S. 84) Eine Warnung, die in Zeiten von Erdogan, Trump usw. eine hohe Aktualität hat. Liberale sind Demokraten, doch sind sie „skeptische Demokraten“. Denn der demokratische Prozess ist kein Prozess, der unterschiedliche Interessen in Einklang bringt (wie es etwa Märkte tun), sondern einer, in dem wir uns zwischen widerstreitenden Interessen entscheiden – eine Entscheidung, bei der nur eine Seite gewinnen kann. „Dieser Prozess wird getrübt durch die Eigeninteressen der Wähler, der Repräsentanten und der Bürokraten. Er kann höchst irrationale Ergebnisse zeitigen. Und allzu oft führt er dazu, dass Minderheiten ausgenutzt und ihre Freiheiten eingeschränkt werden – alles im Namen der Demokratie.“ (S. 83)
Der Mythos der „sozialen Gerechtigkeit“
Mit dem Begriff „soziale Gerechtigkeit“, der heute in aller Munde ist, können Liberale nichts anfangen, da völlig unklar ist, was damit gemeint sein soll. Meistens ist eine umfassende Umverteilung von Wohlstand und Einkommen gemeint. Liberale lehnen es zwar nicht ab, wenn der Staat kurzfristige Nothilfe gewährt, aber sie sind gegen eine dauerhafte Umverteilung. „Das heißt freilich nicht, dass es den Armen in einer klassisch liberalen Gesellschaft schlechter geht. Freie Gesellschaften sind meist auch reichere Gesellschaften, und es ist besser, arm in einem reichen Land zu sein als in einem, das vor die Hunde gegangen ist.“ (S. 81).
„Den“ Liberalismus gibt es natürlich nicht, wie der Autor häufig betont. Das Spektrum reich von Libertären (die manche Gemeinsamkeiten mit Anarchisten haben) bis zu Konservativen. Sie alle eint die Liebe zur Freiheit, die Überzeugung von der Überlegenheit des Marktes gegenüber dem Staat und generell eine Skepsis gegenüber staatlicher Bevormundung. Dabei räumen Liberale dem Staat durchaus eine wichtige Funktion ein – die Gewährung der inneren und äußeren Sicherheit, der Schutz des Eigentums, die Durchsetzung abstrakter rechtsstaatlicher Normen.
Wie steht der Liberalismus heute da? „In vielen Ländern mag inzwischen erkannt worden sein, dass Staatswirtschaft scheitern muss, und es wurden staatliche Industrien privatisiert. Doch der unmittelbare Besitz durch den Staat ist ersetzt wurden durch eine wuchernde Regulierung.“ (S. 122) Damit ist in der Tat eine große Gefahr beschrieben: Das Eigentum wird zwar nicht verstaatlicht, aber die Beschränkung in der Verfügung darüber wird so weit eingeschränkt, dass am Schluss ein bloßer Rechtstitel bleibt, aber die wesentlichen Merkmale Schritt für Schritt aufgehoben werden.
Das Buch ist eine sehr gute Einführung in die Grundgedanken des Liberalismus. Der Autor spricht immer vom „Klassischen Liberalismus“, aber dieser Zusatz ist im Grunde als Unterscheidung nur im angelsächsischen Sprachraum wichtig. Sogenannte Liberale, die die hier beschriebenen Gedanken ablehnen, sind aus meiner Sicht gar keine Liberalen.
Im 10. Kapitel werden die wichtigsten liberalen Denker kurz portraitiert, also z.B. Locke, Smith, Mill, Hayek, Rand, Friedman und Buchanan. Der Band enthält zudem ein Vorwort von Frank Schäffler und ein Nachwort von Clemens Schneider vom Prometheus Freiheitsinstitut, das diesen Band herausgegeben hat. „Der Klassische Liberalismus“, schreibt Schäffler, „wird nur dann erfolgreich sein, wenn er sich nicht auf das konzentriert, was jetzt politisch opportun ist, sondern konsequent für die Herrschaft des Rechts und die Selbstverantwortung des Bürgers eintritt.“ Dem Buch wünsche ich viele Auflagen, allerdings wurde der Titel nicht gut gewählt – der Leser kann damit nichts verbinden. „Was heißt liberal?“ wäre ein treffender Titel für eine Neuauflage.
22 Besprechungen + Interviews zu Zitelmanns neuem Buch "Psychologie der Superreichen": http://psychologie-der-superreichen.de/presse/. Im März erstmals auf der Bestellerliste vom manager-magazin.