Das Buch interessierte mich schon deshalb, weil es einige Parallelen im Leben des Autors und in meiner eigenen Biografie gibt: Wir gaben beide als Schüler linksextreme Schülerzeitungen heraus, schlossen uns später maoistischen K-Gruppen an, verdienten Millionen in der freien Wirtschaft und sind heute Mitglied der FDP. Zudem haben wir beide Bücher geschrieben und einen ausgesprochenen Sinn für Selbstvermarktung und Positionierung.
Sattelberger war sicherlich der bekannteste „Personaler“ in der deutschen Wirtschaft. Er begann im Daimler-Konzern (Daimler-Benz, MTU, DASA), wo er von 1975 bis 1994 in verschiedenen Führungsfunktionen tätig war, ging dann für zehn Jahre zur Lufthansa, wechselte schließlich von 2003 bis 2007 zur Continental AG und war zuletzt für fünf Jahre Personalvorstand der Telekom.
Sattelberger gab mit 18 Jahren die Schülerzeitung „Rotkehlchen“ heraus und wurde (fast) von der Schule verwiesen (meine Zeitung hieß „Rotes Banner“ und ich musste eine Schule wegen dieser Zeitung verlassen). Beide lasen wir Marx, Mao und später auch Wilhelm Reich. Sattelberger schloss sich dem maoistischen Kommunistischen Arbeiterbund KAB/ML an, während ich mich zur gleichen Zeit der maoistischen KPD/ML anschloss.
Sattelberger war, und dies zieht sich durch seine ganze Autobiografie, immer ein Konflikt-Typ (auch dies eine Gemeinsamkeit zwischen uns). In seiner maoistischen Gruppierung eckte er an, weil er sich mit Joschka Fischer traf – aus Sicht von uns Marxisten-Leninisten damals ein ernstes Zeichen von kleinbürgerlichem Abweichlertum, das nicht geduldet wurde. Er beschreibt das Klima von „Dogmatismus, Stalinismus und Isolation“, das er beim KAB erlebte. Wer dort engagiert war, hatte sich mit Haut und Haaren der Revolution verschrieben. Für Anderes war keine Zeit. Die folgenden Sätze könnten wortgleich aus meiner eigenen Biografie sein, wenn er beschreibt, wie er die Loslösung von der Gruppe als Befreiung empfand: „Bin erstmals wieder in Diskotheken tanzen gegangen. Bei den sektiererischen Maoisten waren solche Vergnügungen als bourgeoishaft verpönt… Du dienst der Partei, und die Partei verfügt über deinen Körper, dein Herz und deine Seele. Sie normiert dich, und wenn du gegen die Norm verstößt, wirst du als Abweichler gnadenlos bestraft.“ (S.34) Für Nonkonformisten wie Sattelberger konnte das nicht lange gut gehen.
Ein Bekannter von mir meinte mal zu mir, wer einmal Maoist gewesen sei, bleibe immer einer. Nicht von den politischen Überzeugungen, aber vom Habitus. Sattelberger beschreibt, wie er als Manager, wenn er sich in eine Idee verbissen hatte und sie für richtig hielt, „dies ohne allzu große Rücksicht und auch gegen Widerstände durchgezogen“ habe. „Schon in meinen jungen Jahren hat sich offenbar bei mir ein Charakterzug herausgebildet, der mir später zugleich gut und schlecht bekam, der mich einerseits erfolgreich gemacht hat, auf der anderen Seite auch gefürchtet. Auf der einen Seite waren es die Unbeirrbarkeit beim Verfolgen von Ideen, die Robustheit gegen Attacken sowie eine hartnäckige Konsistenz und Berechenbarkeit des Handelns, die am Ende den Erfolg brachten. Auch bei großen Themen, bei denen zunächst niemand an den Erfolg glaubte. Auf der anderen Seite schlugen die Kompromisslosigkeit sowie die fehlende Rücksichtnahme auf die Befindlichkeit meines Umfeldes zu Buche. Ich war ja nicht gerade durch große Sensibilität in meinem manageriellen Wirken bekannt, sondern mehr dafür, dass ich große Ideen mit hartem Stil und Aufschlag umsetzte.“ (S.38) Er fragt, ob nicht der Weg der vorsichtigen Rücksichtnahme besser gewesen wäre. Sein Fazit: „Der hätte gar nicht zu mir gepasst.“ All diese Sätze könnten wörtlich so in meiner Autobiografie stehen (und stehen auch so ähnlich darin).
Sattelberger scheute auch in den Unternehmen, in denen er Führungspositionen bekleidete, keinen Konflikt. In einem von ihm initiierten „Strategischen Dialog“ bei der DASA 1992 fragte er den Vorstand Schrempp: „Warum sprechen wir über uns nicht als einen Sanierungsfall, sondern bezeichnen uns stattdessen als einen erfolgreichen Global Player? Wir haben doch zu zwei Drittel blutrote Geschäfte.“ Schrempp schrie, er solle nie mehr von blutroten Zahlen oder Sanierung sprechen (S.73). Diese Offenheit passte nicht zu einem Großkonzern.
Konflikte in Unternehmen sind notwendig; und Sattelberger sieht sie positiv. Manchmal erinnerte mich sein Buch an die Bücher von Jack Welch, dem legendären CEO von GE – obwohl Sattelberger dessen Philosophie des „Shareholder Value“ dezidiert ablehnt. Aber in der eigenen Konfliktfreudigkeit und der Betonung der Notwendigkeit, Konflikte offen auszutragen, sind sich beide gleich. Sattelberger beschreibt die Konflikte bei der Lufthansa und resümiert: „Solche Sachkonflikte wirken sich natürlich auch meist auf der personellen Ebene aus, oft auch vice versa. Meiner Ansicht nach sind sie aber erstens notwendig, zweitens oft hart und drittens nicht unerfreulich. Das Ringen um Wahrheit ist immer auch ein Ringen um ein mental und machtpolitisch abzusicherndes oder zu besetzendes Territorium. Deswegen habe ich für das Ringen um Macht und Einfluss in Vorstandsgremien immer ein intellektuell entspanntes Verhältnis gehabt, auch wenn der emotionale Clinch oft wehtat. Es gibt diese Machtkämpfe, ohne sie geht es nicht in machtbasierten Organisationen.“ (S. 110).
Sattelberger begriff aber auch, wann man es überzieht. Er war auch in diesem Fall wieder bereit, einen harten Konflikt mit dem Vorstand zu riskieren. Ich denke, ich bin selbstständiger Unternehmer geworden, weil ich in einem großen Konzern nicht auf Dauer überlebt hätte. Sattelberger hatte jedoch – konsequenter als ich – einige Lehren aus seiner maoistischen Zeit gezogen, u.a. diese: „In jedem konsequenten Verfolgen einer Idee, wie ich es ja am eigenen Leib in meiner Schülerzeit erlebt habe, kann auch ein Zuviel des Guten stecken, ein Übermaß an Konsequenz.“ (S. 148) Bei Conti sei dieser Punkt im Jahr 2005 mit der geplanten Schließung des Traditionswerkes in Stöcken gekommen. Als der Conti-Vorstand Manfred Wennemer dann auch noch gleichzeitig Produktionskürzungen anordnete, wurde Sattelberger laut: „Ich mache so nicht weiter. Jetzt verhandle ich auf eigenes Risiko weiter und informiere Sie über die Ergebnisse ohne vorherige Abstimmung. Ansonsten suchen Sie sich doch einen anderen Clown, und ich suche mir einen anderen Zirkus.“ (S. 150). Ohne Absprache mit dem Vorstand erklärte er den Mitarbeitern, dass die Produktionskürzungen nicht stattfänden. Er riskierte in diesem Fall alles – seinen Job und seine Reputation. Aber er hatte damit Erfolg und empfand dies als „Befreiungsschlag“ (S. 152).
Konflikte warteten auf Sattelberger auch bei der Telekom. Und dies wusste er, bevor er 2007 dort seinen Job als Personalvorstand antrat. Die Situation bei der Telekom war katastrophal, wie bei einem ehemaligen Staatsunternehmen nicht anders zu erwarten. Viel zu viel Personal, ineffiziente Strukturen, zu hohe Löhne usw. (S. 168 ff). Die Geschäftslage war miserabel und verschlechterte sich von Monat und Monat. Ihm, dem Aufsichtsratsvorsitzenden Zumwinkel und dem Vorstand René Obermann war klar, dass eine Lösung ohne einen größeren Arbeitskonflikt nicht möglich sein werde. Er wurde als Personalvorstand engagiert, weil er sich in den schweren Arbeitskonflikten bei Conti den Ruf erworben hatte, jemand zu sein, „der einen solchen Konflikt nicht opportunistisch, kompromisslerisch oder gar ängstlich angeht, sondern ihn auch risikofreudig und furchtlos auszutragen imstande ist“ (S. 155). „Bei der Telekom ging es um alles oder nichts. Mit einem faulen, betriebswirtschaftlich unsoliden Kompromiss hätte ich versagt. Eine nicht faule Lösung war also nur über eine Niederlage ver.dis zu erzielen.“ (S. 170) Ähnlich wie Jack Welch wählt Sattelberger ein militärisches Vokabular für diesen Konflikt, bei dem es sich um die „allerhärteste Auseinandersetzung handelte, die ich je in meiner Verantwortung als Vorstand erlebt hatte“ (S. 172). Ein Konflikt, der mit Hunderttausenden Streiktagen über insgesamt elf Wochen hinweg die Telekom erschütterte und der mit einer „vernichtenden Niederlage“ für die Gewerkschaft ver.di: endete (S. 175).
Er schildert diese Konflikte ausführlich, weil er nicht auf das Image des „Vorstandes mit der Frauenquote“ oder des „Papstes der Personalentwicklung“ reduziert werden möchte. „Ich bin indes mit mir sehr zufrieden, dass ich auch die Klaviatur des Kampfes und der Auseinandersetzung beherrsche.“ (S. 172)
Sattelberger berichtet, wie er dafür kämpfte, bei der Telekom als erstem Unternehmen eine 30%ige Frauenquote einzuführen. Da ich selbst ein strikter Gegner jedweder Quotenregelung bin, habe ich bei der Lektüre hier am Rand einige Fragezeichen gesetzt – ebenso wie bei Sattelbergers kritischen Bemerkungen zu den von mir bewunderten Politikern Margaret Thatcher und Ronald Reagan (S.94) oder bei seinem Plädoyer für „Corporate Citizienship“ (S. 258) und gegen die Shareholder-Value-Philosophie.
Drei Ausrufezeichen für uneingeschränkte Zustimmung habe ich dagegen bei seiner Kritik an „den ganzen Regulierungsaktivitäten der gegenwärtigen Großen Koalition auf dem Arbeitsmarkt – von der Rente mit 63 über Regulierung von Leih- und Zeitarbeit bis zum Mindestlohn“ gemacht. Sattelberger warnt: „Das gesamte Atmungspotenzial deutscher Unternehmen, die in der Weltwirtschaftskrise 2007/08 zur Krisenbewältigung beitrugen, wird systematisch eingeschnürt. Das dürfte schon bald ein bitteres Erwachen geben! Ideologisch abgesichert werden diese Regulierungen durch den Begriff des ‚Normalarbeitsverhältnisses’. Das aber ist eine Schimäre der Flexibilitätskiller. Es suggeriert nämlich, dass andere Beschäftigungsformen ‚atypisch’ und ‚anormal’ sind, was weder den Realitäten in vielen Volkswirtschaften dieser Welt entspricht noch den Bedürfnislagen vieler Menschen.“ (S. 133 f.) Sattelberger kandidiert für die FDP bei diesen Bundestagswahlen. Wir bräuchten im Bundestag viel mehr solcher Männer aus der Wirtschaft, die die Unternehmenspraxis kennen – und zugleich intellektuell so brillant reflektieren können – wie Sattelberger. Ich hoffe allerdings, dass er bei der FDP nicht auch für eine Frauenquote kämpfen wird, denn bei seinem hohen Maß an Durchsetzungskraft könnte es am Ende passieren, das wir beide nicht mehr in der gleichen Partei wären.
22 Besprechungen + Interviews zu Zitelmanns neuem Buch „Psychologie der Superreichen“: http://psychologie-der-superreichen.de/presse/. Im März erstmals auf der Bestellerliste vom manager-magazin.