„Niemand baut bessere Mauern als ich“; „niemand respektiert Frauen mehr als ich“; „niemand in der Geschichte dieses Landes hat je so viel über Infrastruktur gewusst wie Donald Trump“; „niemand ist größer oder besser bei Militärischem als ich“; „ich weiß mehr über ISIS als die Generäle, glaubt mir“; „niemand weiß mehr über Handel als ich“; „niemand weiß über Arbeitsplätze besser Bescheid als ich“; „niemand versteht den atomaren Schrecken besser als ich“; „Ich denke, niemand weiß mehr über Steuern als ich, vielleicht in der gesamten Weltgeschichte“. „Sorry, Verlierer und Hasser, aber mein IQ ist einer der höchsten – und ihr alle wisst das! Bitte fühlt euch nicht so dumm oder unsicher, es ist nicht euer Fehler.“ (S. 21 f.) Ja, das ist Donald Trump. Und gerade deshalb ist es erklärungsbedürftig, wie er viele amerikanische Wähler begeistern und Präsident der Vereinigten Staaten werden konnte.
Vermutlich gibt es keine größere Herausforderung für jemanden, der eine Biografie über einen lebenden Politiker verfassen will, als die, eine differenzierte Biografie über Donald Trump zu schreiben. Denn Trump polarisiert so wie kein anderer Politiker. Und es gibt genug Gründe, ihn abzulehnen oder sich über ihn lustig zu machen. Der Verfasser dieser Biografie, der acht Jahre lang für die „Welt“ aus Washington berichtete, steht Trump kritisch gegenüber, aber sein Buch unterscheidet sich wohltuend von vielen Medienberichten über den seltsamen amerikanischen Präsidenten.
Was der Autor nicht kritisiert
Das liegt daran, dass der Autor immer wieder versucht zu differenzieren, statt linke Klischees zu bedienen. Trump wurde vielfach kritisiert, weil er mehrere Milliardäre ins Kabinett geholt hat. „Dabei ist es zu begrüßen, wenn Hochvermögende eine aus ihrer Sicht mies bezahlte Position (Minister in Washington verdienen knapp 200.000 Dollar) übernehmen, um der Nation zu dienen. Natürlich dürfen sie die Position nicht nutzen, um persönliche Interessen zu verfolgen – aber dies gilt für Normalverdiener ebenso.“ (S. 112)
Trump wird von Linken und Grünen scharf wegen seiner Umweltpolitik angegriffen. Graw differenziert: Die Überprüfung von Obamas Umweltschutzauflagen sei sinnvoll, weil die vorherige Administration sich gelegentlich allzu sehr einem Regulierungswahn hingegeben habe. Beispielsweise wurden an die Wasserqualität in Flüssen höhere Anforderungen gestellt, als sie von renommierten europäischen Tafelwassern erfüllt werden. (S. 198)
Trump sei ein Rassist und er sei homophob, so heißt es von Kritikern. Graw meint, es gebe keinerlei Beweise für eine Homophobie bei Trump und auch die Belege, die dafür angeführt werden, dass er Schwarze diskriminiere, seien nicht besonders überzeugend: Ja, in den 70er Jahren wurde der Trump-Konzern wegen der Diskriminierung von schwarzen Mietinteressenten verklagt, die dort keine Wohnungen bekamen. Graw gibt zu bedenken: „Untypisch für die damalige Zeit war dieser Versuch, weiße Mieter ‚unter sich‘ zu belassen, nicht, und darum taugt dieser über 40 Jahre zurückliegende Rechtsstreit nicht als Beleg für eine rassistische Einstellung.“ (S. 29)
Die Kritik vieler deutscher Politiker daran, dass Trump auf der Einhaltung der Selbstverpflichtung zur deutlichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben pocht, lässt Graw nicht gelten. Diese Forderung sei legitim – und wurde auch bereits von anderen amerikanischen Präsidenten vorgetragen. Auch die allseits so scharf kritisierten Pläne Trumps, eine Mauer zu Mexiko zu bauen, findet der Autor nicht so verwerflich. Er weist darauf hin, dass sich diese auch nicht grundlegend von dem unterscheiden würde, was die Europäer tun bzw. tun müssen, um ihre Grenzen zu sichern.
Ein Lügner und Bullshit-Redner
Graw ist jedoch alles andere als ein unkritischer Verteidiger Trumps. Ganz im Gegenteil. Er führt zahlreiche Belege dafür an, wie Trump log. So hat Trump mehrere Male gelogen, indem er persönliche Begegnungen mit dem russischen Präsidenten Putin frei erfand. Trump behauptete in etlichen Interviews, er habe Putin am Rande eines von ihm veranstalteten Schönheitswettbewerbs in Moskau getroffen – was nicht stimmt. Trump berichtete, was ihm Putin in der Garderobe des Senders CBS vor einem Fernsehauftritt gesagt habe – dabei hatte er ihn weder dort noch zu anderer Gelegenheit getroffen. (S. 149 f.) Das erste Treffen zwischen Putin und Trump fand vergangene Woche beim G 20-Treffen in Hamburg statt. Die Lügen von Trump sind so zahlreich, dass nur einige wenige davon in diesem Buch erwähnt werden. Unerwähnt ist beispielsweise seine Lüge über den Vater des republikanischen Mitwerbers bei den Vorwahlen, Ted Cruz, über den Trump behauptete, dieser sei an der Ermordung von Kennedy beteiligt gewesen. Und Trump lügt nicht nur: Er redet einfach viel „Bullshit“, so Graw: Er spricht immer wieder von Themen, von denen er absolut nicht das Geringste versteht. Auch dafür gibt es mehr Belege als dieses Buch Seiten hat.
Trump und die Marktwirtschaft
Trump ist gegen den Freihandel – das ist bekannt. Graw zeigt jedoch, dass Protektionismus keineswegs eine Erfindung von Trump ist, sondern dass es viele andere Präsidenten vor ihm gab, die protektionistische Maßnahmen verhängten – von Herbert Hoover über Richard Nixon bis hin zu Barack Obama (S. 203 ff.). Trump hat aber ganz generell ein fragwürdiges Verhältnis zur Marktwirtschaft. Er ist ein „Interventionist, der die Volkswirtschaft politisch steuern will und den freien Wettbewerb behindert… Die Idee, einen Staat zu managen wie einen Konzern, funktioniert weder im Sozialismus noch im Kapitalismus. Trump verspricht, Amerika wieder groß zu machen. Aber Amerikas freie Marktwirtschaft, die der Motor bisheriger Größe war, stellt der Präsident in Frage. Trump verrückt die kapitalistische Seele der USA in einer Art, in der es kein Präsident der Demokraten nach dem Zweiten Weltkrieg je versucht hat.“ (S. 217)
Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie sich der Präsident in Entscheidungen von Unternehmen einmischt. Er sieht sich als Arbeiterführer (vgl. S. 84 f.) und droht Firmen. „Nie zuvor hat ein angehender Präsident ohne jede Kenntnis der Kalkulationen und Verträge vor Amtsantritt Unternehmen gedroht, sie aus einem vor Jahren vereinbarten Großprojekt zu drängen.“ (S. 211) Und wiederholt warnte Trump Vorstandsvorsitzende großer Unternehmen – so etwa General Motors oder Ford – vor der Auslagerung von Produktion ins Ausland. „Der vormalige Unternehmer Trump, der sich als Künstler des ‚Art of the Deal‘ sieht, stellt ein Axiom freier Marktwirtschaft infrage, nämlich die Nichteinmischung in unternehmerische Entscheidungen.“ (S. 212)
Mitschuld der politisch korrekten Demokraten
Wie konnte Trump an die Macht kommen? Wer wählte ihn – und warum? Darauf gibt Graw im fünften Kapitel seines Buches interessante Antworten, die von einer profunden Kenntnis demoskopischer Analysen zeugen (S. 84 ff.). Es waren ganz überwiegend Weiße, und hier vor allem Arbeiter, die sich vom Abstieg bedroht sehen, die Trump wählten (S. 84 f.) Und Wegbereiter für Trump waren, daran lässt der Autor keinen Zweifel, die linken Tabuwächter der Political Correctness. Diese ist kein Randthema in den USA. In einer im August 2015 veröffentlichten Befragung stimmten 71 Prozent der Amerikaner dem Befund zu, dass „politische Korrektheit heute ein Problem in Amerika ist“. Nur 18 Prozent widersprachen. Obama, Trumps Vorgänger, gab sich politisch überkorrekt und entschuldigte sich sogar öffentlich, weil er eine Bemerkung über das gute Aussehen einer Staatsanwältin gemacht hatte (S. 186) – was für politisch Korrekte natürlich ein klarer Fall von Diskriminierung und Frauenfeindlichkeit ist. Ein Teil des Erfolges von Trump speiste sich daraus, dass viele Amerikaner der politischen Korrektheit überdrüssig waren, die sie als Einengung der freien Rede empfanden.
Trumps Konkurrentin Hillary Clinton präsentierte sich im Wahlkampf als „Anwältin der Schwarzen, der Frauen, der Homo- und Bisexuellen, der Muslime, der alleinstehenden Mütter, der Millennials. Diese Identitätspolitik, bei der soziale Einheiten basierend auf Ethnie, Religion, sexueller Orientierung oder Weltanschauung und deren Partikularinteressen definiert wird, kam in progressiven Kreisen gut an… Die Mittelschichtsweißen, derzeit noch die größte Teilmenge in den USA, gerieten bei dieser Aneinanderreihung von Minoritäten in Vergessenheit.“ (S. 96) All dies ist durchaus legitim – jede Gruppe braucht in einer pluralistischen Gesellschaft eine Interessenvertretung. Aber wenn viele weiße Arbeiter den Eindruck hatten, ihre Probleme seien Obama, Clinton und den Demokraten weniger wichtig als die Frage, welche Toiletten Transgender benutzen dürfen, dann machte sich diese Frustration in der Wahl eines Donald Trump Luft.
Kritik an Merkel
Trotz der Kritik an Trump lässt Graw keinen Zweifel daran, wie wichtig für uns Deutsche ein gutes Verhältnis zu den USA ist, auch unter diesem Präsidenten. Er kritisiert Merkels Äußerung, die Europäer müssten ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Deutschland und Europa blieben auf die USA angewiesen. „Insbesondere für Deutschland wäre eine neue Mittellage zwischen Amerika und Russland fatal, weil sie Misstrauen bei allen Nachbarn, den Polen und Franzosen allen voran, wecken würde. Darum sollte Berlin seine eigenen Rüstungsanstrengungen erheblich stärken, aber zugleich intensiv daran arbeiten, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht verwechselt werden mit der Präsidentschaft des Donald Trump.“ (S. 242)
Fazit: Das – übrigens sehr gut geschriebene – Buch ist sehr zu empfehlen. Jeder, der über Trump mitreden will, sollte es lesen.