Dies ist ein bemerkenswertes Buch. Es ist kein „Ratgeber“-Buch wie man reich wird, sondern eine wissenschaftliche Untersuchung darüber, wie Reichtum in Deutschland entsteht. Es stellt einen wichtigen Beitrag zur Reichtumsforschung dar.
Die Studie ist als Dissertation an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam entstanden und geht der Frage nach, welche Faktoren dafür entscheidend sind, dass eine Person in Deutschland zu Wohlstand oder gar Reichtum gelangt. Basis der Untersuchung sind 472 Interviews mit sehr gut verdienenden oder vermögenden Personen. Deren Nettovermögen betrug durchschnittlich 2,3 Millionen Euro, der mittlere Verteilungswert (Median) 1,4 Millionen Euro.
Es geht also nicht um die wirklich sehr reichen Personen, also die Einkommensmillionäre oder die Ultra-High-Net-Worth Individuals. Sondern es geht sozusagen um den „Millionaire next Door“, wie der Titel eines bekannten Buches lautet, das sich mit der Reichtumsbildung in den USA befasst.
Zum Verständnis der nachfolgend zusammengefassten Analyse muss man die Begrifflichkeit nachvollziehen, die die Verfasserin ihrer Studie zugrunde legt. Es handelt sich um eine Pyramide, die unten mit dem Begriff „Wohlstand“ beginnt. Das sind Haushalte, die doppelt so viel Nettoeinkommen haben wie der Durchschnitt der Bevölkerung, also mit einem Jahresnettoeinkommen von mindestens 54.320 Euro. Danach kommt die mittlere Gruppe, die die Autorin mit „fragiler Reichtum“ bezeichnet – das sind Haushalte mit einem Nettovermögen von mindestens 1,2 Mio. Euro. Die oberste Gruppe wird mit dem Begriff „stabiler Reichtum“ belegt, sie verfügt über ein Haushalts-Nettovermögen von mindestens 2,4 Mio. Euro.
Über die Begriffe kann man streiten. Ist ein Vermögen „stabil“, weil es besonders hoch ist? Es gibt Beispiele in Hülle und Fülle von Schauspielern, Lottogewinnern, Sportlern und Pop-Stars, die einmal über 2,4 Mio. Euro verfügten und diese genauso schnell wieder verloren, als sie sie gewonnen hatten. Mit „stabil“ ist hier aber etwas anderes gemeint, nämlich dass das Vermögen eines Haushaltes Einkünfte einbringt, die doppelt so hoch sind wie bei einer Person, die ein Jahreseinkommen im „Wohlstand“ hat bzw. vier Mal so viel wie das durchschnittliche Nettoeinkommen. Die Autorin nimmt eine Verzinsung des Privatvermögens in Höhe von 4,5 Prozent an und kommt somit auf ein Vermögen von mindestens 2.414.222 Euro, das notwendig ist, um ein Jahresnettoeinkommen von 108.640 Euro zu erzielen. Die 4,5% Verzinsung stammen nach Angaben der Autorin aus einer anderen Studie (aus dem Jahr 2001), die sich wiederum ohne Quellenangabe auf Einschätzungen der Deutschen Bundesbank beziehe. Vermutlich kommt die nicht belegte Zahl also aus den 90er Jahren. Schon damals war das nicht realistisch, heute ist eine Nettoverzinsung von 4,5% für die meisten Anleger unrealistisch. Denn vor Abgeltungssteuer müsste man dafür ja eine Verzinsung von 6% erzielen, was nur möglich ist, wenn jemand entweder überdurchschnittliche Risiken eingeht oder über ein weit überdurchschnittliches Finanz-Know-how verfügt. Das gilt vor allem dann, wenn die Erträge so stabil sein sollen, dass man davon seine regelmäßigen Ausgaben bestreitet. Das heißt: Diese Person müsste, um auf ein Nettoeinkommen von über 108.000 Euro zu kommen, eine Bruttoverzinsung von etwa 6% erzielen. Eine solche Bruttorendite ist aber realitätsfern, jedenfalls als Durchschnittswert.
Doch diese kritischen Anmerkungen mindern keineswegs den Wert der vorliegenden Arbeit, deren hauptsächlichen Ergebnisse ich zusammenfassen möchte:
Es ist nicht leicht, als Angestellter in abhängiger Beschäftigung reich zu werden. Das ist eines der Ergebnisse der Arbeit. Die Wahrscheinlichkeit, sehr hohe Erwerbseinkommen zu erzielen, liegt insgesamt für Selbständige um ein Vielfaches höher als für abhängig Beschäftigte. Die Studie belegt, dass sich abhängig Beschäftigte schwer tun, ein Vermögen aufzubauen. Für Freiberufler ist es schon eher wahrscheinlich, dass sie zu Reichtum gelangen. Doch „vor allem Unternehmertum ist ein Garant für sehr hohe Vermögen. Die Durchschnittsvermögen steigen enorm mit der Relevanz von Unternehmertum an: Haushalte, die auf diesem Weg reich wurden, haben ein um durchschnittlich 2,5 Millionen höheres Durchschnittsvermögen als Haushalte, in denen dieser Aspekt keine Rolle spielte.“ (S. 187)
Im „stabilen Reichtum“ (nach der Definition der Autorin also Haushalte mit einem Mindest-Nettovermögen von 2,4 Mio. Euro) spielt Unternehmertum eine deutlich wichtigere Rolle als beim „fraglichen Reichtum“ (also bei Haushalten mit einem Mindest-Nettovermögen von 1,2 Mio. Euro). Die Auswertung der Befragungen belegt, dass Haushalte, für die Unternehmertum eine ausschlaggebende Bedeutung für die Reichtumsgenese hat, eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit haben, im höchsten anstatt im mittleren Reichtumsgrad zu leben (S. 199).
Zwar spielen auch Erbschaften bei der Reichtumsbildung eine nicht zu unterschätzende Rolle, aber die Befragung zeigt, dass durch Unternehmertum mehr als doppelt so hohe Vermögen generiert werden wie durch Erbschaften oder abhängige Beschäftigung. Vereinfacht gesagt: Abhängige Beschäftigung, also die Arbeit als Angestellter, erweist sich „als seltene Reichtumsquelle“ (S. 203).
Eine Mittelstellung zwischen Angestellten und Unternehmern kommt Freiberuflern zu, also Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern usw. Eine freiberufliche Selbständigkeit, so das Ergebnis der Untersuchung, „lohnt sich also zwar sehr, um entweder von der Mittelschicht in den Wohlstand oder vom Wohlstand in den fragilen Reichtum aufzusteigen. Um den Zustand des stabilen Reichtums zu erreichen, ist sie allerdings ungeeignet.“ (S. 233)
Freiberufler haben im Vergleich zu unselbständig Beschäftigten immerhin eine mehr als 3,5fache, Unternehmer sogar eine 4,5fach höhere Wahrscheinlichkeit, wohlhabend zu sein anstatt „nur“ ein überdurchschnittlich hohes Einkommen zu erzielen (S. 230).
Erbschaften, so zeigt die Studie, spielen eine wichtige Rolle, aber sie ist bei weitem nicht so wichtig wie die Erwerbstätigkeit. In mehr als der Hälfte der reichen Haushalte dominiert die Erwerbstätigkeit als Reichtumsquelle gegenüber Erbschaften. Das heißt nicht, dass Erbschaften unwichtig wären. Immerhin ein knappes Drittel der Haushalte schätzte in der Befragung Erbschaften gegenüber der Erwerbstätigkeit als wichtiger ein und für weitere 13 Prozent sind beide Reichtumsquellen (also Erbschaft und Erwerbstätigkeit) gleich bedeutend.
Allerdings zeigt die Autorin auch, dass es stark darauf ankommt, was jemand erbt. Die Wahrscheinlichkeit, reich zu werden, ist viel stärker wenn man produktives Vermögen (also einen Betrieb) erbt als wenn man Sachwerte erbt. Sie spricht in diesem Zusammenhang von geerbter Selbständigkeit.
Nach der eigenen Erwerbtätigkeit und Erbschaften spielen vor allem auch Immobilien eine wichtige Rolle bei der Reichtumsbildung. 48 Prozent der Befragten gaben an, Immobilien seien „ein wichtiger Aspekt“ für ihre persönliche Reichtumsgenese gewesen. Von Aktien sagten das dagegen nur 20 Prozent. Immerhin jeder Zehnte gab sogar an, Immobilieneigentum sei der allerwichtigste Aspekt für die Reichtumsbildung gewesen. Börsengewinne wurden dagegen nur von 2,4 Prozent der Befragten als wichtigster Grund für die Reichtumsbildung genannt. Das heißt: Immobilien spielen beim Vermögensaufbau von deutschen Millionären vier Mal häufiger als Aktien eine zentrale Rolle (S. 174).
Tatsächlich spielen Immobilien für die Reichtumsbildung sogar eine noch größere Rolle, wenn man nämlich die Erbschaften mit berücksichtigt. 81 Prozent derjenigen vermögenden Haushalte, die bereits geerbt haben, erhielten Geldvermögen, 68 Prozent haben Immobilien vererbt oder geschenkt bekommen. Der Wert der vererbten Immobilien war jedoch mit 300.000 Euro (Median) doppelt so hoch wie der Wert des vererbten Geldvermögens. Auch dies unterstreicht die zentrale Bedeutung von Immobilien bei der Reichtumsbildung.
Ein weiteres Ergebnis der Dissertation war, dass besonders vermögende Unternehmer eine Affinität zum Immobilienerwerb haben. Wenn von den Befragten Unternehmertum als wichtigster Aspekt für die Reichtumsbildung benannt wurde, spielte in mehr als der Hälfte der Fälle auch Immobilieneigentum eine wichtige Rolle. Und auch umgekehrt gilt: Wenn Immobilieneigentum als wichtiger Aspekt der Reichtumsbildung genannt wurde, dann wurde in 40 Prozent der Fälle auch Unternehmertum genannt.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Hohe Einkommensbezieher und vor allem Reiche arbeiten mehr als die Mittelschicht. Das gilt vor allem für die durch berufliche Selbständigkeit reich Gewordenen: Sie sind fast durchgängig in voller Beschäftigung und arbeiten durchschnittlich etwa 50 Stunden die Woche – im Vergleich zu 38,7 Stunden durchschnittlicher Wochenarbeitszeit bei der Mittelschicht (S. 213).
Und Reiche haben auch häufiger als die Mittelschicht ihren Beruf gewechselt. Zwei Drittel der untersuchten Reichen hat mindestens einmal im Laufe des Erwerbslebens den Beruf gewechselt. Es handelt sich hierbei wohlgemerkt nicht um einen bloßen Wechsel des Arbeitgebers, sondern gemeint ist damit, dass aktuell ein anderer Beruf ausgeübt wird als der, den man einmal gelernt hat. Das trifft für über 91 Prozent der Unternehmer zu, aber nur für weniger als 40 Prozent der Erwerbstätigen aus der Mittelschicht (S. 214).
„Die Aufstiegschance in den Wohlstand“, so zeigt die Untersuchung, „erhöht sich… um das Sechsfache, wenn im Laufe des Erwerbslebens der Beruf gewechselt wird und sie erhöht sich zudem mit jeder zusätzlich geleisteten Wochenarbeitsstunde um weitere fünf Prozent.“ (S. 230)
Die Autorin untersucht schließlich auch, ob es einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Reichtumsbildung gibt. Was unterscheidet die Persönlichkeit der Reichen von anderen Menschen? Um diese Frage zu beantworten, werden zahlreiche Persönlichkeitsmerkmale untersucht und in Beziehung zum Vermögen der Personen gesetzt. Die wichtigsten Ergebnisse: Reiche Menschen sind sehr viel offener als Personen aus der Mittelschicht. 64 Prozent der Unternehmer bzw. 68 Prozent der Freiberufler sind in besonderem Maße offen für Neues, im Vergleich zu nur 35 Prozent der Personen aus der Mittelschicht (S. 219).
Die „Verträglichkeit“ mit den Mitmenschen ist dagegen bei Unternehmern deutlich geringer ausgeprägt als bei der Mittelschicht. Während 68,8 Prozent der Personen aus der Mittelschicht als besonders verträglich gelten, sind es bei Unternehmern nur 60 Prozent. Das Umgekehrte gilt dagegen für Angestellte, die überdurchschnittlich gut verdienen: Sie sind deutlich verträglicher – nicht nur als die Unternehmer, sondern auch als die Mittelschicht (S. 220). Um Karriere als Angestellter zu machen, muss man also in höherem Maße als der Durchschnitt anpassungsfähig und sozial verträglich sein, während für Unternehmer die Konfliktfähigkeit die wichtigere Eigenschaft ist.
Wie nicht anders zu erwarten, haben Reiche auch eine deutlich höhere Risikobereitschaft wie die Mittelschicht. Das trifft ganz besonders für Selbständige zu. Die durchschnittliche Risikobereitschaft bei Geldanlagen ist bei ihnen fast doppelt so hoch wie bei der Mittelschicht (S. 223). Das verwundert auch nicht, denn schließlich wird sich niemand selbständig machen, der extrem risikoavers ist.
Zuletzt: Kann man durch Heirat reich werden? Die Antwort: Ja, als Frau durchaus. 30 Prozent der Frauen, die im Rahmen dieser Studie befragt wurden, sind durch Heirat reich geworden, aber nur 5 Prozent der Männer (S. 182). R.Z.