Dirk Roßmann, Gründer der gleichnamigen Drogeriemarktkette, war sein Leben lang ein Rebell. Er verkörpert fast prototypisch den Unternehmertyp, den Joseph Schumpeter beschrieben hat. Er hat sich stets aufgelehnt, und das fing bereits in der Schule an: „Ich habe alles, was mit der Schule zu tun hatte, gehasst. Es war furchtbar. Ich wollte ja lernen, aber mit Zucht und Ordnung war bei mir nichts zu holen. Deswegen frustrierte mich dieser Ort nur.“ (S. 46 f.) Zur Bundeswehr wollte er nicht, weil er sich um die Drogerie seiner Mutter kümmern musste. Er wollte aber auch nicht den Kriegsdienst verweigern. Er rückte unter Protest ein, verweigerte aber konsequent über Monate hinweg jeden Befehl, und zwar so lange, bis man ihn in die Bundeswehr-Psychiatrie einlieferte. Nachdem er da raus war, kletterte er in Uniform auf einen hohen Baum und blieb stundenlang dort sitzen, bis ihn die Feuerwehr herunterholte (S.23). Schließlich erreichte er, was er wollte und wurde aus der Bundeswehr entlassen.
„Der Mensch braucht Geld, um frei zu sein“
Was ihn sein Leben lang antrieb, ist ein ungeheurer Freiheitsdrang. Roßmann ist kein Mann, der Wert auf Luxus und teure Konsumgüter legt. Er ist heute mehrfacher Milliardär, einer der reichsten Deutschen. Aber er fährt ein acht Jahre altes Auto, hat ein altes Handy (kein Smartphone), besitzt weder Jacht noch Jet und gibt nur für Bücher und Reisen gerne viel Geld aus (S. 165 f.). Geld ist für ihn ein Mittel, um frei und unabhängig zu sein: „Der Mensch braucht Geld, um frei zu sein. Eine simple Weisheit. Und ich wollte so viel Geld verdienen, dass ich unabhängig war und in der Lage, entscheiden zu können, was ich tun möchte.“ Das war auch das Motiv, selbstständig zu werden. Er „wollte niemandem Rechenschaft ablegen müssen, niemals Befehlsempfänger sein. Lieber wollte ich einmal einen kleinen Kiosk an der Ecke unserer Straße betreiben, als dass ich eine gut bezahlte Stelle in einem Unternehmen annahm, in dem ein Chef das Sagen hatte.“ (S. 36). Freiheit gehe „immer einher mit einer finanziellen, einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit.“ (S. 36). Dieses Motiv verbindet ihn – wie übrigens viele andere Dinge auch – mit den Reichen, die ich für meine Dissertation „Psychologie der Superreichen“ interviewt habe.
Mit 16 die erste Eigentumswohnung
Ein anderes verbindendes Element: Roßmann fing schon sehr früh an, unternehmerisch zu handeln. Er sparte sein Geld, lieh sich noch etwas dazu und hatte damit das Eigenkapital, um schon mit 16 Jahren seine erste Immobilie – eine Eigentumswohnung für 66.000 D-Mark – zu erwerben (S. 70). Schon mit zwölf oder dreizehn Jahren fing er an, Geld zu verdienen. Er hatte die Idee, die Kunden zu Hause mit Produkten aus der Drogerie seiner Mutter zu beliefern, machte damit 5000 D-Mark Umsatz und 500 Mark Gewinn im Monat – damals sehr viel Geld. Bald schon lieferte er nicht mehr selbst aus, sondern stellte seinen Bruder an (S. 64 f.). Er fing als Teenager an, zu investieren und auch mit Optionsscheinen zu spekulieren (was ihm später fast zum Verhängnis werden sollte).
1972, im Alter von 25 Jahren, eröffnete er seine erste eigene Drogerie. Er hatte eine Idee, die sofort einschlug: Zum ersten Mal sollten Drogeriewaren in Deutschland in einem Selbstbedienungsladen angeboten werden. Die Kunden standen schon bei der Eröffnung Schlange und seine kühnsten Erwartungen wurden übertroffen. Im Überschwang der Gefühle lies er eine Kundin mit 150 D-Mark Ware im Einkaufswagen vorbeiziehen, ohne dass sie bezahlen musste (S.83). Heute besitzt Roßmann 3800 Filialen in Deutschland, Polen, Ungarn, Tschechien, Albanien und der Türkei und beschäftigt mehr als 50.000 Mitarbeiter.
Schopenhauer und Psychologie
Schon als Jugendlicher begann er, sich für Philosophie zu interessieren, vor allem Schopenhauer tat es ihm an. Später wandte sich sein Interesse der Psychologie zu. Er begann selbst eine Therapie, unter anderem deshalb, um seine Konfliktfähigkeit zu erhöhen. Er habe anfangs beispielsweise ein schlechtes Gewissen gehabt, Mitarbeiter zu entlassen (S. 105). Das scheint später nicht mehr sein Problem gewesen zu sein, denn selbstkritisch beschreibt er, wie er oft aufbrausend war und Dampf an anderen abließ (S.141). Roßmann ist ein begeisterungsfähiger Mensch. Und so begeisterte er sich so stark für die Psychologie, dass er schließlich selbst eine Ausbildung als Gestalttherapeut und in Themenzentrierter Interaktion begann (S.110). Er schrieb sogar gelegentlich in Fachzeitschriften über psychologische Themen (S.111) und schickte seine Führungskräfte in gruppendynamische Kurse (S. 116).
Bauchentscheider
Wie die meisten erfolgreichen Unternehmer berichtet er, dass er sich bei allen wichtigen Entscheidungen „mehr auf mein Bauchgefühl als auf meinen Kopf“ verließ (S. 81). Bauchgefühl ist freilich nichts Irrationales, sondern nur ein anderes Wort für implizites Wissen, also ein Ergebnis von impliziten Lernprozessen. „Bis heute bin ich ein intuitiver Mensch. Wenn mir mein Gefühl etwas sagte, habe ich mich daran gehalten, egal wie verlockend etwas war. Sagte mein Bauchgefühl Nein, ließ ich die Finger davon.“ (S. 112). Manche klugen Leute, so zitiert er seinen Freund Claus Bingemer, den Gründer der Hannover Rück, seien deswegen nicht erfolgreich, weil sie zu viel über alles nachdenken, nur die Risken sähen und abwägten. „Der weniger Kluge – aber vielleicht Cleverere -, der macht einfach etwas. Der hadert nicht ständig.“ (S. 125) So machte er beispielsweise einem Taxifahrer, der ihm gefallen hat, spontan ein Jobangebot – und der stieg bis ins mittlere Management seiner Firma auf (S.202).
Krisen
Roßmann beschreibt auch die Krisen und Rückschläge, die er durchmachte. Die Schuld dafür suchte er nicht bei anderen, sondern bei sich selbst – auch eine Gemeinsamkeit, die ihn mit den Interviewpartnern in meiner „Psychologie der Superreichen“ verbindet. Er verzettelte sich in Konflikten mit großen Kosmetikherstellern (S. 129 ff.) und machte hoch riskante Geschäfte an der Börse (S. 130 f.), wo er beispielsweise ein Geschäft mit Put- und Call-Optionen abschloss, bei dem er 100 Millionen D-Mark einsetzte (S. 131). Offenbar hat er einen Hang zum Spielen, auch an der Börse, und wenn ich ihm als Außenstehender einen einzigen Rat geben dürfte, dann wäre es, davon vollständig und für immer Abstand zu nehmen.
Mit 50, als sich sein Unternehmen in der schwersten Krise befand, hatte er einen Herzinfarkt. Selbstkritisch analysierte er, dass er den Fokus verloren hatte – mit all seinen Aktienspekulationen und nervenaufreibenden Prozessen mit der Kosmetikindustrie (S. 139). Die Krise war jedoch der Ausgangspunkt für viele Änderungen, die das Unternehmen wieder extrem erfolgreich machten. So fing er beispielsweise an, Eigenmarken zu produzieren, mit denen sich sehr viel mehr verdienen lässt als mit dem Absatz von Produkten anderer Produzenten (S. 140).
Roßmann äußert sich an verschiedenen Stellen des Buches auch politisch – und meist kann ich zustimmen. So, wenn er auf die immensen Risiken der Nullzinspolitik der EZB hinweist oder die Flüchtlingspolitik kritisiert (S. 196 f.).
In den USA ist es üblich, dass erfolgreiche Unternehmer ihr Leben aufschreiben. Ich habe diese Bücher stets gerne gelesen, weil ich eine Menge daraus gelernt habe. Solche Bücher sind vor allem wichtig für junge Menschen, die darin eine Motivation finden. In Deutschland sind Unternehmer dagegen sehr zurückhaltend und schreiben selten Autobiografien. Schade eigentlich, wie dieses lesenswerte Buch von Dirk Roßmann zeigt. R.Z.